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Führt vordergründige Aufmüpfigkeit nur zur Stabilisierung des Systems? - Szene aus der TV-Serie "Lasko - die Faust Gottes"

Foto: dpa/Bachmann

Sie wollen "künftig Zeichen setzen" und tun so, als ob es sich um eine Revolution handelte. Dabei stellen sie - gegen die Vorschriften einer längst erstarrten Institution - nur ein paar selbstverständliche Anstandsregeln ins Netz:

"Wir werden gutwilligen Gläubigen grundsätzlich die Eucharistie nicht verweigern. Das gilt besonders für Geschieden-Wiederverheiratete, für Mitglieder anderer christlicher Kirchen und fallweise auch für Ausgetretene." - No, na!

Wenn Freunde zum Essen kommen und vielleicht noch jemand anderen mitbringen wollen - wem würde einfallen, so etwas zu verlangen: Dass alle Gäste die gleiche politische Partei bevorzugen, die gleiche Lebenseinstellung oder dieselbe religiöse Überzeugung haben müssen, ehe sie bewirtet werden? Es wäre grotesk - auch wenn das Bischöfe offenbar anders sehen.

Wie sehr erinnert mich das doch an meine eigene, lang zurückliegende Aufbruchsstimmung, als ich selbst noch Priester war und tatsächlich meinte, dass man in der Katholischen Kirche etwas Sinnvolles tun könne. Vor Jahrzehnten war ich ähnlich naiv unterwegs.

Damals, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, hatte ich das Gefühl, aus einem stickigen Raum ins Freie zu treten und die klare, frische Luft eines neuen Geistes zu atmen. Und vielleicht ging es ja vielen Katholiken auch so: Denn schon 1980, im letzten Jahr meiner pastoralen Praxis, war all das, was jetzt so "aufmüpfig" eingefordert wird, längst schon ständige und selbstverständliche Praxis in meiner Pfarre, und ich wusste, dass auch meine Kollegen ähnlich handelten.

Natürlich gab es, so wie überall, auch in der Kirche Denunzianten, die daran Anstoß nahmen und glaubten, das erzbischöfliche Ordinariat verständigen zu müssen.

Die entsprechenden schriftlichen Ermahnungen und die Androhungen disziplinärer Konsequenzen hörten jedoch auf, als ich sie im Schaukasten vor der Pfarrkirche veröffentlichte. (Danach gab es nur noch telefonische Rügen.)

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2011 (!) - und schon in der Titel-Formulierung des Protests ("Aufruf zum Ungehorsam") manifestiert sich eine peinliche Unmündigkeit, in die Gläubige heute offenbar immer noch verstrickt sind.

Gegen einen Appell, (auch) in der katholischen Kirche die Menschenrechte und damit mehr Menschlichkeit durchzusetzen, wäre nichts einzuwenden: Denn dann ginge es um einen tieferen, qualitativen "Gehorsam", der vom Zuhören kommt, weil er fragt, was Menschen heute brauchen. Johannes XXIII. nannte es: Die Zeichen der Zeit verstehen. Er und viele seiner Bischöfe und Theologen nahmen ein Paulus-Wort ernst: "Der Buchstabe tötet - der Geist macht lebendig."

Allzu lange schon sind in dieser Kirche zu viele Bürokraten am Wort, die - wie jetzt auch Bischof Kapellari - zur Buchstabenkeule greifen, um "dem Ungehorsam scharf entgegenzutreten".

Fortschrittlichere Theologen wie Hans Küng oder Paul Zulehner versuchen den offensichtlich überfordernden Spagat, das kirchliche System mit den Menschenrechten zu versöhnen. Sigmund Freud sagte einmal, dass es keine Entschuldigung dafür gebe, es gut zu meinen. Und so fragt sich heute mancher spirituell gereifte Mensch, ob diese Theologen nicht längst zu "Systemerhaltern" geworden sind, die eine lebensfremde, unzeitgemäße Institution eher stabilisieren, als sie substanziell infrage zu stellen. - Durchaus in Entsprechung zur affirmativen Religionsberichterstattung des ORF wie auch zur Haltung (fast) aller politischer Parteien dieser Republik.

Was unserem Land fehlt, ist nicht bloß ein bisschen "Ungehorsam". Es fehlen Aufrichtigkeit und Mut, die unerhörten Privilegien der Kirche und das überholte Konkordat zur Diskussion zu stellen. Es fehlt die Offenlegung der finanziellen Zuwendungen des Staates an ein System, das die Menschen nicht freier macht, sondern in Abhängigkeit halten möchte.

Den Erfindern der "Pfarrer-Initiative" möchte ich deshalb raten, auf Termini wie Gehorsam und Ungehorsam künftig zu verzichten. Sie entstammen einem allzu infantilen Sprachgebrauch. (Leo Prothmann, Kommentar der anderen, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.7.2011)