Als ob es keine Krise gegeben hätte: Die Wachstumsprognosen werden kräftig nach oben geschraubt, nicht nur in Österreich brummt die Konjunktur. Aber kann es immer so weitergehen? Ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum in den Industriestaaten ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr, darauf weisen immer mehr Ökonomen rund um den Globus hin.

Die Weltwirtschaft kann sich auch nicht darauf verlassen, dass die USA weiter auf Pump leben, obwohl Washington das gesetzliche Schuldenlimit wieder anheben wird, um die drohende Zahlungsunfähigkeit am 2. August durch fällig werdende Staatsanleihen abzuwenden. Schließlich hat die US-Regierung die Schuldengrenze bereits 76-mal seit 1960 erhöht. Für den Fall, dass das Schuldenlimit nicht angehoben wird, droht die Ratingagentur Standard & Poor's mit einem Pleite-Rating. Gleichzeitig warnt der Internationale Währungsfonds angesichts des "schleppenden Aufschwungs" in der größten Volkswirtschaft der Welt vor einem zu ehrgeizigen Defizitabbau - bei einem prognostizierten Wachstum von 2,5 Prozent heuer. Ist da nicht einiges aus den Fugen geraten?

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das Maß für die Wirtschaftstätigkeit eines Landes und damit Indikator für Wachstum, profitiert etwa von Umweltkatastrophen wie Stürmen, denn die Wiederaufbauarbeiten kurbeln die Wirtschaft an. Das Abholzen des Regenwaldes befeuert das Wirtschaftswachstum ebenso - verkehrte Welt.

Die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise hat einmal mehr gezeigt, dass das BIP allein nur eine sehr beschränkte Aussagekraft hat und wenig Auskunft über die Verteilung des Wohlstands und die Lebensqualität in einem Land gibt. Umweltprobleme werden bei der Berechnung des Indikators völlig ausgeblendet.

Ökonomen wie der Brite Tim Jackson oder der deutsche Vordenker Meinhard Miegel haben sich in Büchern mit dem gleich lautenden Titel Wohlstand ohne Wachstum Gedanken darüber gemacht, ob es in Industrieländern angesichts sinkender Wachstumsraten überhaupt noch Wohlstand geben kann - oder ob wir uns in der sogenannten entwickelten Welt schlicht nicht einfach mehr bescheiden müssen.

Jackson weist darauf hin, dass die Weltwirtschaft seit der Mitte des 20. Jahrhunderts um mehr als das Fünffache gewachsen ist. Wächst sie weiter im gleichen Tempo, wird sie im Jahr 2100 insgesamt 80-mal so groß sein wie 1950. Angesichts der Beschränktheit der Ressourcen ist die Herausforderung: Wie kann man nachhaltiges Wachstum kreieren und messen?

Dabei geht es nicht nur um Wohlstand, sondern auch um Wohlbefinden und Wohlfahrt. Das haben Regierungschefs wie der Brite David Cameron oder der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy erkannt und Kommissionen dazu eingesetzt, die sich außerdem mit der Frage beschäftigen, wie man außerdem Fortschritt misst. Im Deutschen Bundestag beschäftigt sich seit Mitte Jänner eine Enquete-Kommission mit dem Thema "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität".

In Österreich gibt es auf politischer Ebene noch keine intensive Debatte dazu. Die steigenden Energiepreise, die die Inflation anheizen, könnten dazu führen, dass man auch hierzulande aufwacht. Vielleicht war aber auch die Krise nicht schlimm genug, um ein Umdenken anzustoßen. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3.7.2011)