Die Nazis hatten 1938 eigentlich nur noch einen tatsächlichen Gegner: die Christlichsozialen (die nur damals anders hießen), während ein Gutteil der Sozialdemokraten schon die SA-Uniform trug", schreibt Gerhard Zeillinger. Sätze wie diese - wie auch die indirekt darauf gründenden Koalitionsspekulationen des Autors - verdienen Widerspruch.

Selbstverständlich trug 1938 nicht ein "Gutteil der Sozialdemokraten schon die SA-Uniform" - da hätte die SA in Österreich mehr Mitglieder haben müssen als in Deutschland. Zwar hat die NSDAP ab 1933/34 und nach dem "Anschluss" Österreichs versucht, (ehemalige) Sozialdemokraten für sich zu gewinnen. Zum Beispiel indem sie als Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes wieder eingestellt wurden. Das war aber nur möglich, weil das Dollfuß-Regime sie 1934 entlassen hatte.

Teilweise war diese Strategie wohl erfolgreich. Schon nach dem Staatsstreich von Dollfuß im März 1933 und der defensiven Haltung der Sozialdemokratie, massiver dann nach dem Februar 1934, haben sich viele aus Enttäuschung von der Sozialdemokratie abgewandt. Das ist unbestritten. In manchen Regionen, etwa in Oberösterreich, ist auch tatsächlich eine nennenswerte Zahl an Sozialdemokraten zur NSDAP übergelaufen. Das war aber eine Folge der Dollfuß/Schuschnigg-Politik, die in praktisch allen Phasen stärker gegen die Sozialdemokratie als gegen die NSDAP gerichtet war.

Saloppe Verkürzung

Zeillinger suggeriert in seinen Einleitungssätzen, die Sozialdemokratie sei 1938 wegen der Nähe ihrer Mitglieder zur NSDAP kein ernstzunehmender Widerstandsfaktor gegen Hitler gewesen - die gewaltsame Zerschlagung der Partei samt ihrer Vorfeldorganisationen durch den Austrofaschismus übersieht er in diesem Kontext geflissentlich - und ignoriert damit auch die Vorarbeit, die das Dollfuß/Schuschnigg-Regime auf dem Weg in den Abgrund, eben durch die Zerstörung des demokratischen Österreich, geleistet hat.

Dass die Christlichsozialen 1938 nur anders geheißen hätten, ist eine saloppe Verkürzung, die wiederum eher eingefleischten Sozialdemokraten gefallen dürfte. Immerhin setzt das die Vaterländische Front, die Einheitsorganisation des Austrofaschismus, mit einer Partei gleich, die bis 1933 - wenn oft auch widerwillig - die demokratischen Spielregeln akzeptiert hat.

Bei der Wiener Wahl 1928 waren Christlichsoziale und Großdeutsche übrigens gemeinsam als "Einheitsliste" angetreten. So viel zu den Berührungsängsten zwischen den angeblich so patriotischen Christlichsozialen und den Deutschnationalen.

Erst die Zerschlagung der Sozialdemokratie hat es der NSDAP von rechts und der KPÖ von links ermöglicht, auch bei ehemals organsierten Sozialdemokraten Fuß zu fassen. Vor 1933 gelang das kaum. Die massiven Gewinne der NSDAP bei der letzten Wiener Gemeinderatswahlen der ersten Republik am 24. April 1932 etwa gingen ausschließlich auf Kosten der Christlichsozialen und der Großdeutschen Volkspartei. Die Sozialdemokratie blieb stabil bei etwa 60 Prozent. - Das zeigt: Der stärkste Schutz gegen die Ideologie einer "Volksgemeinschaft" ist eine zukunftsorientierte Bewegung, die versucht, Probleme zu lösen anstatt Feinbilder zu bedienen, die ein Bildungssystem forciert, das Chancengleichheit schafft statt soziale Selektion zu betreiben. Kurz: Eine emanzipatorische Bewegung, die zu ihren Werten steht. Die Sozialdemokratie war das in der Ersten Republik zumindest teilweise. Das führt in die Gegenwart - und zu einer Sozialdemokratie, der man zurufen möchte: Mehr Mut!

Was die FPÖ mindestens seit dem letzten Wien-Wahlkampf und nun offensichtlich verstärkt im neuen Parteiprogramm propagiert, ist die Idee einer "Volksgemeinschaft" . Das ist ein bewährtes Mittel, um zu verschleiern, dass die Trennlinien zwischen oben und unten verlaufen. Es wird ein fiktives "Wir" konstruiert, dass es gegen "die anderen" zu schützen gäbe. Im letzten Jahr waren es "die Türken" beziehungsweise "die Moslems" - aktuell sind es "die Griechen" .

Jene, die von rechter Krawallrhetorik angezogen werden, interessieren sich nicht für scheinbare Details wie das tatsächliche Abstimmungsverhalten der von ihnen gewählten Abgeordneten. Das hat Haider gezeigt - und es gibt keine Anzeichen, dass es bei Strache anders sein sollte. So kann er laut schreien, gleichzeitig aber den Geldgebern seiner teuren Dauerwahlkämpfe signalisieren: Ich tu euch nicht weh.

ÖVP aus dem Spiel?

Allerdings: Die Anbiederung von Kanzler Faymann an Krone Zeitung und Gratisblätter ist tatsächlich unerträglich. Mit Straches deutschtümelnder "Volksgemeinschaft" -Rhetorik hat das aber immer noch nicht viel zu tun.

Wie falsch die Behauptung ist, die ÖVP habe nach dem jüngsten Schwenk der FPÖ mit dieser Partei keine Berührungspunkte mehr, zeigte die Reaktion von Außenminister und ÖVP-Obmann Michael Spindelegger auf die Ausfälle der FPÖ-Kamarilla in Straßburg. Anstatt das Recht - und die Pflicht - von Journalisten, immer und überall kritisch zu fragen, zu verteidigen, sagte er im Parlament: "Diskussionen dieser Art gehören nach Österreich! Ich bitte Sie, dieses Thema nicht über internationale Medien hochzuspielen!" Nicht die braunen Töne der FPÖ beschmutzen Österreich, findet also der ÖVP-Obmann, sondern kritische Fragen von Journalisten. Eine "meilenweite Entfernung" zwischen diesen beiden Parteien, wie sie Zeillinger sehen will, schaut anders aus.

Die ÖVP ist auch nicht aus dem Spiel, wenn es um eine Koalition mit der FPÖ geht. So populistisch wie die SPÖ ist die ÖVP schon lange: Manche Sprüche auf den Marek-Plakaten im Wiener Wahlkampf 2010 (von Fekter ganz zu schweigen) unterschieden sich in ihrer plumpen Ausländerfeindlichkeit, verknüpft mit gestriger Bildungspolitik ("Reden wir über Bildung - am besten auf Deutsch" ) kaum von jenen der FPÖ.

In jenen Punkten, wo die Differenz zwischen diesen beiden Parteien angeblich so unüberbrückbar sind (Europa etc.), werden sie in bewährter Manier eine Lösung finden: Die ÖVP setzt sich inhaltlich durch, die FPÖ darf die Boulevardrhetorik dazu liefern.

Eine der wenigen klaren Aussagen von Werner Faymann - dem ich ansonsten nicht viel Positives abgewinnen kann - ist seine Absage an eine Koalition mit Strache. Die ÖVP ist in diesem Szenario tatsächlich "fein raus" . Sie kann sich den Koalitionspartner aussuchen - sollte aber aufpassen, dass sie nicht ihre letzten aufgeklärten Wähler verliert. (Kommentar der anderen, Bernhard Hachleitner, DER STANDARD; Printausgabe, 2./3.7.2011)