Für Nachhilfe im Lesen zahlt niemand. Nicht einmal diejenigen, die es sich leisten könnten.

Gegen Lehrermangel würde bereits helfen, wenn Hauptschullehrer in Volksschulen unterrichten dürften, sagt Christian Oxonitsch.

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Standard: Die Wiener Kinder haben am Freitag ihr Zeugnis bekommen, laut Lesetest kann ein Fünftel nur unzureichend lesen. Wie geht es Ihnen da als Bildungsstadtrat?

Oxonitsch: Nicht gut. Und manchmal ist es auch kein Trost, wenn man sagt, es geht acht anderen Bildungslandesräten auch nicht besser. Seit dem Pisa-Test ist bekannt, dass das Lese-Niveau in Österreich insgesamt sehr schlecht ist. Für uns war der Lesetest daher auch eine Reaktion darauf, um künftig kontinuierlich zu schauen, ob Maßnahmen greifen oder nicht.

Standard: Aber müssen Eltern nicht darauf vertrauen können, dass ihrem Kind in der Schule Lesen beigebracht wird?

Oxonitsch: Grundsätzlich ja. Wir wissen aber auch, dass es genauso individueller Förderung bedarf. Ich bin der Letzte, der nur die Eltern in die Pflicht nehmen möchte - aber wir wissen, dass es auch wichtig ist, daheim Zugang zu Büchern und zum Lesen zu haben. Und wir wissen ebenfalls, dass das in vielen Fällen die Eltern nicht leisten können. Von schulischer Seite sind ganztägige Schulformen, die einfach mehr Möglichkeit zur Leseförderung bieten, eine zentrale Antwort. Weil für Nachhilfe im Lesen niemand zahlen will. Nicht einmal diejenigen, die es sich leisten könnten.

Standard: Sollten die Lehrer mehr in die Pflicht genommen werden?

Oxonitsch: Ich glaube, dass die Lehrer in gewisser Weise in die Pflicht genommen werden müssen - aber nicht, weil sie ihre Aufgabe nicht erfüllen. Sondern man ist im Bildungssystem nicht gewohnt, Erfolge und Misserfolge entsprechend zu evaluieren und zu überprüfen. Viele Lehrer werden trotz einer gewissen Skepsis merken, dass etwa der Lesetest ihnen persönlich hilft. Das ist ja nicht automatisch Kritik, sondern etwas, womit man lernen sollte zu leben.

Standard: Externe Evaluierungen gehören also zu einem modernen Schulsystem?

Oxonitsch: Ja. Es kann einem als Lehrer ja nichts Besseres passieren, als zu merken, dass sich Schüler verbessert haben. Wenn das gelingt, ist allen gedient: den Schülern, den Eltern, den Leh- rern.

Standard: Woher sollen die Pädagogen für die Fördermaßnahmen kommen? In den nächsten Jahren wird es einen Lehrermangel geben.

Oxonitsch: Es muss auch erkannt werden, wo die echten Schwerpunkte liegen. Die Kulturtechniken wie Lesen wurden im Zuge dessen, was von den Lehrern noch zusätzlich verlangt wird, vielleicht ein wenig übersehen. Der Bereich Lesen wird in den unterschiedlichsten Gegenständen große Aufmerksamkeit brauchen. Da geht es gar nicht so sehr um die personellen Ressourcen. Was die Förderung betrifft: Ich bin froh, dass wir mit dem Projekt Lesepaten viele Menschen gewinnen konnten, die in die Schulen gehen, um mit den Kindern zu lesen. Aber die zentrale Verantwortung liegt natürlich bei den Schulen.

Standard: Trotzdem - wie soll der Lehrermangel abgefangen werden?

Oxonitsch: Durch eine neue gemeinsame Lehrerausbildung und den flexibleren Einsatz von Pädagogen kann dem Schulsystem sicher sehr geholfen werden. Man kann zum Beispiel derzeit Volksschullehrer zwar in den Hauptschulen einsetzen, aber nicht umgekehrt - was in Wien angesichts sinkender Hauptschüler-Zahlen ziemlich kurios ist. Da würden bereits einfache Maßnahmen wie diese helfen.

Standard: Im Ministerrat wurde diese Woche die modulare Oberstufe beschlossen. Warum blieb in der öffentlichen Wahrnehmung nur übrig, dass Schüler mit noch mehr Fünfern aufsteigen können?

Oxonitsch: Der zentrale Inhalt dieses doch wesentlichen Reformschritts ist in der Frage "Zwei Fünfer oder drei Fünfer?" untergegangen. Nach der scheinbaren Einigung wurde dieser Punkt in den Vordergrund gerückt, weil die ÖVP wieder einmal der Mut verlassen hat.

Standard: Hätte es Module gegeben, die Sie wiederholen hätten müssen?

Oxonitsch: Wahrscheinlich. Nachdem Mathematik nicht gerade meine große Stärke war, hätte mir das durchaus drohen können. Aber ich hätte auch mehr Möglichkeiten gehabt, Schwerpunkte zu setzen, die mich interessieren.

Standard: Was halten Sie von dem Vorschlag von ÖVP-Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr einzuführen?

Oxonitsch: Ich finde die Diskussion darüber sinnvoll, aber sie kommt viel zu früh.

Standard: Warum zu früh?

Oxonitsch: Das erste verpflichtende Kindergartenjahr ist noch nicht zu Ende. Man sollte sich jetzt einmal Zeit nehmen zu reflektieren, ob es ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr geben soll oder vielleicht ein Vorschulmodell. Außerdem stellt sich die Frage, ob ein zweites Kindergartenjahr für alle verpflichtend sein soll oder nur für Kinder mit Förderbedarf. (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD; Printausgabe, 2./3.7.2011)