Randa Mirza blickt auf die Felsenspringer vom "Pigeon's Rock": ein männlicher Nervenkitzel, der jedem Wandel trotzt.

Foto: Gallery Tanit

Wien - Er ist in Rage. Niemand wage es, etwas zu sagen. Aber er, er spreche jetzt das an, was alle wissen wollen. Wo sind die Mörder von Rafik Hariri? Was macht die Regierung eigentlich? Als die libanesische Filmemacherin Rania Stephan den immer wütender werdenden Mann 2005 in seinem Geschäft im Zentrum Beiruts interviewt, ist der ehemalige Premier seit 100 Tagen tot. "Wenn schon das niemanden interessiert, wen würde dann mein Tod interessieren?", klagt er an.

Auch 2011 stehen die Namen der Täter noch immer nicht fest; und der Film Rania Stephans - sie bekam heuer den Preis der Sharjah Biennale - ist von trauriger Aktualität: Erst im Jänner stürzte die radikalislamische Hisbollah die Regierung von Hariris Sohn Saad in Folge eines Streits über das UN-Tribunal, das den Mordanschlag aufarbeitete. Man wollte wohl verhindern, dass Namen publik werden. Aber obwohl nun die Hisbollah die neue Regierung dominiert, wurden gestern, Freitag, wurden vier Namen bekannt . Die mit Haftbefehl gesuchten Hauptverdächtigen sind Hisbollah-Mitglieder.

In der Reihe Metropolen im Wandel widmet die Kunsthalle dem ehemals blühenden "Paris des Ostens" eine Ausstellung. Doch "im Wandel" scheint irgendwie nicht vollends stimmig.

Keine Frage: Die Stadt hat sich wirtschaftlich vom Bürgerkrieg erholt. Trümmerlandschaften haben Platz gemacht für einen modernen, aber gentrifizierten Stadtkern: Die Seele des Zentrums ging ebenso verloren wie der historische "Souk Ayyas". Allerdings scheint die Stadt in anderen Bereichen stehengeblieben. Denn trotz rückwärtsgerichteter Reflexion, gehört die Vergangenheitsbewältigung zum Schritt in die Zukunft.

Die offizielle Diskussion fehlt, viele ehemaligen Bürgerkriegsparteien sind nun an der Macht. Und so sind es insbesondere die Kulturschaffenden, die sich auf das gesellschaftsverändernde Potenzial der Kunst besinnen und ihre Finger in die Wunden legen. Ein gewisser Hang zum Dokumentarischen ist den überwiegend filmischen und fotografische Medien daher auch anzumerken. Spürbar wird der Wunsch, mangelnde Geschichtsschreibung auszugleichen. Denn das offizielle Geschichtslehrbuch endet 1943 mit der libanesischen Unabhängigkeitserklärung.

Alfred Tarazi will ein Mahnmal für die Kriegsopfer schaffen und stößt auf Ignoranz . Seine Papierarbeiten sollen seine Idee populär machen. Warum auch neue Denkstätten? Die Mehrheit kann sich doch jetzt schon bei bestehenden wie dem Märtyrerdenkmal für die Opfer des anti-türkischen Aufstands von 1914, nicht mehr erinnern, wozu sie errichtet wurden. Mona Hatoum, die wohl prominenteste unter den 17 Künstlerpositionen (Kuratoren: Bariaa Mourad, Lucas Gehrmann) hat dieses "Wahrzeichen" als durchlöchtertes Modell auf einen Sockel gestellt.

Autopsie einer Stadt

Der erzählerische Zugang basiert aber auch auf der großen literarisch-poetischen Tradition des Landes, wie er bei Lamia Joreige zum Tragen kommt. Sie knüpft einen dichten Bilderteppich: Beirut, autopsy of a city heißt ihre Begutachtung, die im Titel den Tod der Stadt andeutet und die in vorchristlicher Zeit, bei antiken Kulturgütern ansetzt und bis zu beschrifteten Kriegstrümmern reicht.

Meditativ ist ihr Videoblick auf die Kriegsschiffe weit draußen im Meer. Auch die Verarbeitung von Kriegstrauma ist Arbeiten, wie jener von Maher Abi Samra, anzumerken: Sein Video Merely a smell zeigt, wie Arbeiter aus Schutt Leichen bergen. Bemerkenswert auch Mahmoud Hojeijs Doku über "Ras Beirut", also jenes kosmopolitische Stadtviertel, in dem Christen und Muslime stets friedlich koexistierten: "Es umarmte Menschen, die nach Veränderungen suchten".

Eher zufällig fügt sich das Setting der Ausstellung: Wegen der Projektionen sind die Vorhänge der Glasfronten zugezogen, verstärken so aber den introspektiven Blick. Draußen tönt der Verkehrslärm, in der benachbarten Restaurantküche klappert das Geschirr: Das Leben fließt, wandelt sich. Im Inneren bleiben die Fragen gleich. Sie harren ihrer Beantwortung. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe 2./3. Juli 2011)