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Bild eines Kusses von Erich Honnecker und Leonid Breschnew, gemalt vom russischen Kuenstler Dmitry Vrubel. 

Foto: APA/Maya Hitij

Am 6. Juli ist der Tag des Kusses: Ferienbeginn in Ostösterreich. Sommer und Flirt sind zwei alte Bekannte, vor allem nach ein paar Drinks kann es sein, dass Lippe auf Lippe trifft und es in eine Schmuserei ausartet - ein potenziell gefährliches Vergnügen. Denn die Schleimhaut in Nase, Mund und Rachen ist Lebensraum für zahlreiche Viren und Bakterien, die über den Speichel beim Küssen ausgetauscht werden.

"Beim Küssen spielen vor allem drei Virenarten eine Rolle, alle gehören zu den Herpesviridae", sagt Egon Marth, Vorstand des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin der Universität Graz, "Epstein-Barr, Herpes simplex 1 und das Zytomegalievirus." Besonders berüchtigt ist das Epstein-Barr-Virus (EBV), das das Pfeiffer'sche Drüsenfieber auslösen kann und deshalb auch Küsserkrankheit genannt wird. "Die 'Kissing Disease' ist klassischerweise eine Infektion in der Jugend, bei den ersten Küssen", erklärt Jakob Schnedl, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Wien.

Wer sich die Küsserkrankheit einfängt, ist oft ein bis zwei Wochen schwer krank, hat hohes Fieber, geschwollene Lymphknoten und Mandeln. Viele Erkrankte fühlen sich auch noch einige Monate nach der Erkrankung abgeschlagen. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Für alle Viren der Herpes-Gruppe gilt, dass man sich kein zweites Mal infizieren kann. Um das 40. Lebensjahr herum sind so gut wie alle Menschen bereits mit dem Epstein-Barr-Virus in Berührung gekommen. Viele infizieren sich damit - in der Mehrheit symptomlos - im Kindesalter und haben längst Antikörper gebildet.

Als Faustregel ließe sich aufstellen: Je älter, desto risikoärmer ist Schmusen. Auch gegen das hochansteckende Herpes-simplex-1-Virus, Verursacher der ohnehin nicht sehr kussanregenden Fieberblasen, dem Herpes labialis, haben fast alle Erwachsenen Antikörper.

Zum ersten Mal Herpes

"Die meisten holen sich das als Kleinkinder", sagt Schnedl, "weil es reicht, wenn einer in der engeren Familie eine Fieberblase hat - der Kontakt zwischen Familienmitgliedern ist fast immer eng genug." Marth spricht von einer Durchseuchung mit Herpes labialis von nahezu 100 Prozent. Nur wer sich als Erwachsener zum ersten Mal mit Herpes simplex 1 ansteckt, hat schlechte Karten. "Eine Herpes-Erstinfektion im Erwachsenenalter ist nicht angenehm", berichtet Schnedl aus der Praxis, "die gesamten Lippen und die Mundschleimhaut sind mit schmerzenden Bläschen überzogen. Man ist eine Woche außer Gefecht, kann sich bestenfalls durch einen Strohhalm ernähren. Das ist zwar nicht lebensgefährlich, aber wirklich nicht lustig."

Alle anderen mit einer gesunden Immunlage können sich ohne Angst vor Herpes simplex 1 auf eine Schmuserei einlassen. Wahrscheinlicher als eine Infektion ist eine Reaktivierung des Virus. "Die klassische Urlaubssituation - Zeitverschiebung, ein Langstreckenflug mit zu wenig Schlaf, dann übermüdet gleich an den Strand in die Sonne - belastet das Immunsystem", warnt Schnedl. Mögliches Ergebnis: Fieberblasen, die beim Flirten hinderlich sind.

Ärzte tun sich schwer, echte gesundheitliche Argumente gegen eine Schmuserei zu finden, denn die Bedrohung bleibt fast immer theoretisch. Zum einen müssen die Erreger im Speichel enthalten sein, zum anderen brauchen sie eine Zielzelle zur Vermehrung, die im Nasen-Rachen-Raum angesiedelt ist. Denn sind sie einmal geschluckt, werden sie vom sauren Klima im Magen vernichtet. "Einen pH-Wert von 1 bis 2 überlebt kaum ein Virus", sagt Marth. Zwar werden tatsächlich viele Erreger wie etwa die Rota- und Noroviren, die zu Durchfall führen, oder auch die Schmutzflechte durch Küssen übertragen, "das passiert aber eher im Kindergartenalter", sagt Schnedl, "die Erwachsenen hatten es meist schon und sind daher immun."

Insgesamt droht Erwachsenen selbst bei intensiven Küssen also kaum reale Ansteckungsgefahr. Kein seriös nachgewiesener Fall belegt beispielsweise das Risiko, sich durch Küsse mit HIV anzustecken. "Einen Hepatitis-B-Träger zu küssen birgt für Nicht-Geimpfte mehr Risiko für eine Ansteckung, als einen HIV-Positiven zu küssen", sagt Marth, "die Wahrscheinlichkeit ist zwar auch gering, da müssen einige Voraussetzungen vorliegen." Wie HIV wird auch Hepatitis-B meist bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr übertragen. Auch für die klassischen Geschlechtskrankheiten Syphilis und Gonorrhöe (Tripper) gibt es keine nachgewiesene Übertragung, außer beim Geschlechtsverkehr. In seiner Ordination hat Schnedl jedoch andere Erfahrungen gemacht: "Es gibt immer wieder Patienten, die sich beim Oralverkehr mit Gonorrhöe angesteckt haben. Wenn die Bakterien bei einer Frau auf der Schleimhaut im Rachen sitzen, können sie auf den Penis übertragen werden." Vom Küssen allein habe jedoch noch niemand Tripper oder Syphilis bekommen. Allerdings könne auch ein Kondom nicht absolut vor Geschlechtskrankheiten schützen, da beim Verkehr meist auch die Hände im Spiel seien, die in Kontakt mit Bakterien kommen könnten.

Keimschleuder Hand

"Die größte Gefahr geht nicht vom Küssen aus, sondern von den Händen", bricht Marth eine Lanze für häufiges Händewaschen. "Während es im Mund nur einige wenige Keime gibt, tummelt sich auf den Händen ein ganzer Zoo." Von der Hand in den Mund ist der Weg vieler Bakterien und Viren in den menschlichen Körper. Auch das Ehec-Bakterium und Hepatitis A werden so übertragen. Küssen hingegen kann sich sogar positiv auf das Immunsystem auswirken: Durch den Austausch von Keimen wird das Immunsystem leicht stimuliert, Antikörper zu bilden. "Insgesamt ist Küssen ziemlich ungefährlich", sagt Schnedl, "wenn's dabei bleibt." (Konstanze Wagenhofer, DER STANDARD Printausgabe, 04.07.2011)