Elisabeth-Joe Harriet, Intendantin des Sommertraum-Festivals am Semmering

Foto: STANDARD / Andy Urban

Wien - "Der Semmering gefällt mir nicht, es schaut dort kitschig aus", befand Egon Schiele 1914. Hugo von Hofmannsthal fühlte sich im noblen Gebirgskurort schon wohler; der Schriftsteller nahm sogar sein Rad mit und traf sich mit Kollegen Arthur Schnitzler zum Spaziergang. Adolf Loos und Karl Kraus kamen in der einstigen "Beletage der Monarchie" Freund Peter Altenberg besuchen, der sich dem Alkohol zu entwöhnen versuchte und froh war, nicht mehr da unten sein zu müssen, im "Dreck-Dorf Wien".

Im "Dreck-Dorf Wien", genauer: im blank gewienerten Café Griensteidl, sitzt freundlich, großäugig, agil und adrett Elisabeth-Joe Harriet. Harriet ist seit März 2011 Intendantin eines Festivals, das es bis dahin noch nicht gab, namens Sommertraum am Semmering. Frau Harriet, warum nur? Warum noch ein Sommerfestival? Was macht den Sommertraum unverwechselbar und also unbedingt besuchenswert?

Bisher, antwortet sie, sei der Semmering ein "Appendix von Reichenau" gewesen, die Festspiele hätten lange Jahre das Südbahnhotel bespielt, was seit diesem Sommer nicht mehr möglich sei. Dann gäbe es am Semmering aber noch das Kurhaus, 1909 eröffnet, seit Ende der 1980er-Jahre leerstehend, aktuell im Besitz eines österreichisch-kasachischen Konsortiums. Das wäre Reichenau-Intendant Peter Loidolt als Spielstätte angeboten worden; der hätte, weil Investitionen zu tätigen gewesen wären, abgelehnt. Worauf ein pensionierter Sektionschef des Verteidigungsministeriums die Initiative ergriff: Erich Reiter, Präsident des neugegründeten Kulturvereins Semmering, habe nach der Absage der Reichenauer Festspiele gemeint: "Na, dann müssen wir halt was tun."

Einzigartiges Haus

Reiter tat und erkor die Kulturmanagerin (Höfefest Klosterneuburg) und Künstlerin zur Intendantin, gab 7000 Euro aus dem Vereinsvermögen frei und nahm Kredite über mehrere Tausend Euro auf. Harriet: "Die Leute haften mit ihrem Privatvermögen!" Semmering-Hotels und -Restaurants stellten weitere 15.000 Euro zur Verfügung; eine Zusage vom Land Niederösterreich über eine Unterstützung steht noch aus. Mit an die 50. 000 Euro Kapital musste im Kurhaus ja noch einiges getan, sprich: das Dach ausgebessert ("1000 neue Ziegel!"), Böden verlegt ("500 m2!"), ausgemalt, geputzt und Altlasten vorangegangener künstlerischer Produktionen (Alma) beseitigt werden.

Wie sehr dies Harriet geschmerzt haben muss, bemerkt man spätestens an der Begeisterung, mit der sie vom Kurhaus schwärmt. Sie kennt und liebt es vom ausgebesserten Dach bis hinunter zum "Zander-Saal" (quasi das Fitnessstudio des Fin de Siècle) im Souterrain.

Die freche Eröffnungsfrage beantwortet sie mit Bestimmtheit und Verve: "Das Kurhaus ist unser Asset: dieses einzigartige Haus und die Landschaft." Abgesehen von der einstigen Hausordnung kennt die gebürtige US-Amerikanerin auch das Rezept der Kurhaus-Torte.

Ihr Rezept fürs erste Jahr (von dreien) ihrer Sommertraum-Intendanz: primär Musik, und zwar ein wenig von allem. Klassik (Jess-Trio, Sebastian Holecek, Heidi Wolf, Concilium Musicum Wien), Jazz (Erich Kleinschuster), Kabarett (Ernst Stankovski), Chanson (Andrea Eckert), musikalische Lesungen (Erika Pluhar, Mijou Kovacs) und Schauspiel (Mercedes Echerer). Die Kammeroperfassung von Mozarts Don Giovanni wird - alla breve e in movimento - in einer von Alexander Kuchinka erstellten kabarettistischen 100-Minuten-Fassung gespielt - und zwar an mehreren Orten im Kurhaus, das Publikum wandert mit.

Fabelhaftes Panorama

Freitag- und sonntagnachmittags kann unter der Führung der Intendantin auf einem literarisch-musikalischen Pfad durchs Kurhaus gewandert werden, mit Kaffee und Kuchen im Grand Salon zum Finale. Für Kinder gibt's ein umfang- wie abwechslungsreiches Programm mit interaktiven Lesungen und Workshops renommierter Kinderbuchautorinnen, einem Märchenpfad und einem Musical.

Auslastungswünsche für die 44 Veranstaltungen der ersten Saison? "Wenn uns 60 bis 70 Prozent gelängen, wäre das ein Wunder, und ich würde zur Wallfahrt vom Semmering nach Maria Schütz einladen. Realistisch sind, meiner Meinung nach, für die erste Saison 30 bis 40 Prozent."

Der Semmeringer Kultursommer, ein Traum? Eines wird man - um Karl Kraus zu zitieren - am Ende des Festivals auf jeden Fall sagen können: "Das Panorama war fabelhaft."  (Stefan Ender / DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2011)