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Sergej Lawrow, Russlands Außenminister, mit Hillary Clinton, der Außenministerin der USA. In der Mitte: Der neue Start-Vertrag.

Foto: Frank Augstein/AP/dapd

Celeste Wallander hält einen bewaffneten Konflikt im Kaukasus für möglich.

Foto: Pentagon

Für die Spitzenbeamtin im Pentagon, Celeste Wallander, haben sich die Beziehungen zu Moskau stark gebessert. Einen gemeinsamen Schild gegen iranische Raketen tragen sie aber noch nicht. Mit ihr sprach Christoph Prantner.

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Standard: Seit Außenministerin Clinton ihrem russischen Amtskollegen Lawrow 2009 einen roten Knopf übergab, der den Neustart der russisch-amerikanischen Beziehungen symbolisieren sollte, hat die Welt den neuen Start-Vertrag gesehen, aber nicht mehr. Klingt nach durchwachsener Bilanz.

Wallander: Das war damals ein Signal für das Ende einer vergifteten Atmosphäre. Man wollte die Gelegenheit nutzen, um die Situation zu bereinigen und über Bereiche zu sprechen, in denen wir gemeinsame Interessen haben. Und man wollte dort konstruktiver miteinander umgehen, wo es Differenzen gibt. Nehmen sie die russische Okkupation georgischen Territoriums: Im Gegensatz zur Situation vor drei Jahren können wir uns heute zusammensetzen und über unsere unterschiedlichen Auffassungen in der Sache sprechen. Oder denken Sie an den Iran: Den Stopp des Verkaufs russischer S-300-Raketen an Teheran sollte man nicht unterschätzen. Das war ein Umdenken in Moskau, das neue diplomatische Spielräume im Umgang mit Iran geöffnet hat.

Standard: Stichwort Iran: Seit Präsident Obama 2009 einen neuen Anlauf für einen Raketenschild über Europa gemacht hat, in dem Russland integriert werden sollte, hat es keine Bewegung in der Sache gegeben. Moskau bleibt draußen.

Wallander: Wir sind sehr besorgt über das iranische Raketenprogramm, die jüngsten Tests (von Shahab-3-Raketen mit rund 2000 Kilometern Reichweite, die Israel und US-Basen am Golf erreichen können, Anm.) und das wachsende Bedrohungspotenzial daraus.

Standard: Die Briten berichten von geheimen iranischen Raketen, die auch Nuklearwaffen tragen können. Was wissen Sie darüber?

Wallander: Dazu kann ich keinen Kommentar abgeben. Was ich sagen kann, ist, dass auch in Sachen Raketenschild der Reset mit den Russen gewirkt hat. Wir haben uns oft in dieser Frage getroffen. Haben wir eine Einigung erzielt? Nein. Aber wir diskutieren, und wir versuchen, das Thema in einer Weise anzugehen, die den Bedenken Moskaus entgegenkommt. Wir glauben, dass wir diese mit gemeinsamen Manövern, mit vertrauensbildenden militärischen Maßnahmen entkräften können.

Standard: Was ist der Hauptgrund für Moskaus Ablehnung?

Wallander: Aus meiner Sicht sind es jene Abfangeinrichtungen, die wir um das Jahr 2020 aufbauen wollen, um mögliche iranischen Angriffe mit Interkontinental-Raketen abzuwehren. Das fasst Russland als mögliche Bedrohung für russische Interkontinentalraketen auf. Wir verstehen die Sorge, aber dafür gibt es keine faktische Basis. Die Abfangraketen werden nicht an Orten in Europa aufgebaut, an denen sie imstande wären, russische Raketen abzuschießen.

Standard: Dennoch glaubt Moskau den USA nicht. In einer gemeinsamen Erklärung unter anderem mit den Chinesen hieß es zuletzt, dass dieser Raketenschild eine Bedrohung der globalen Sicherheit sei.

Wallander: Es gibt eine Tendenz in der Diplomatie, manchmal etwas zu übertreiben. Wir versuchen diese mit sachlichen, pragmatischen Aktivitäten zu zerstreuen.

Standard: Russland hat die Ränder seiner Interessensphäre konsolidiert. Moskau beherrscht de facto Weißrussland, feierte zuletzt ein Comeback in der Ukraine und steht auf georgischem Gebiet. Hat das die Stimmung der politischen Klasse dort aufgehellt, ist Russland selbstsicherer als vor drei Jahren?

Wallander: Die russische Führung schwankt zwischen dem Wunsch nach Modernisierung und der anhaltenden Unsicherheit über Russlands Platz in Europa. Es gibt gegenseitigen Handel, Investitionen, Austausch von Studenten, aber gleichzeitig ist die russische Führung sehr misstrauisch dem Westen gegenüber. Sie versucht nur jene Aspekte Europas herauszupicken, die ihr zupass kommen, und versteht nicht, dass das gesamte Paket aus sozialen, wirtschaftlichen und politischen Werten Europa erst ausmacht. Das löst manche Verspannungen aus. Bisher ist es nicht gelungen, einen russischen Weg der Modernisierung zu finden. Die Reaktion in Georgien etwa war nicht eine Antwort eines modernen, selbstbewussten europäischen Staates.

Standard: In Aserbaidschan gab es zuletzt unverhohlene Kriegsrhetorik. Wird es dort demnächst erneut Krieg um Berg-Karabach geben?

Wallander: Ich war in den vergangenen Tagen in der Region. Keiner der Präsidenten in Baku und in Eriwan will einen Krieg. Es gibt ernsthaft geführte Verhandlungen, die auch vorankommen. Da sind die USA sehr zuversichtlich. Was allerdings passieren kann, ist, dass die Situation in den unteren Rängen außer Kontrolle gerät und sich ein Konflikt an einem unvorhergesehenen Zwischenfall entzündet. Aus dieser Sicht müssen wir mit einem Krieg rechnen. (Das Gespräch führte Christoph Prantner. STANDARD-Printausgabe, 1.7.2011)