Dieter Schrage 2009

Foto: STANDARD / Cremer

Wien - Noch vor drei Tagen habe Dieter Schrage bei einer Sitzung mit fast jugendlicher Hartnäckigkeit und Verve mehr Unterstützung für kritische Gegenöffentlichkeiten eingefordert, sagt Wiens grüner Kultursprecher Werner-Lobo.

In der Tat war Schrage, geboren 1935 im deutschen Hagen und promovierter Kulturphilosoph, zeitlebens ein politisch denkender und agierender Mensch, ein bekennender Linker, der 1968 mit der Außerparlamentarischen Opposition sympathisierte, in der Wiener Arena-Bewegung aktiv war und seit Mitte der 1980er-Jahre seine politische Heimat bei den Grünen sah.

Nach seiner Übersiedlung nach Wien 1960 arbeitete er zunächst selbst künstlerisch als Keramiker, ehe er 1969 kunstberatend für die damalige Zentralsparkasse der Gemeinde Wien Bank tätig war und dieser die Gründung eines Kunstfonds empfahl.

Dieter Schrage hatte Lehraufträge an Universitäten und Kunsthochschulen in Wien und Salzburg. Fast zwanzig Jahre war er Kurator im Museum für Moderne Kunst im Palais Liechtenstein, war verantwortlich für viele bahnbrechende Ausstellungen in dessen Dependance im 20er Haus, prägte gemeinsam mit dem damaligen Museumsdirektor Dieter Ronte Kunst und Kunstverständnis einer Generation. Schrages Interesse galt dem Rand- und Aufständigen, dem (künstlerischen) Widerstand, der Sub- und Trivialkultur, nicht dem gefälligen Mainstream.

"In unserer Gesellschaft", sagte er in einem Online-Interview, "gibt es 'die Kultur' nicht. Es gibt eine Vielzahl von Kulturen, die dominierende ist die Hochkultur. (...) Ich sage keinesfalls, dass sie weg soll. Sie war immerhin mein Arbeitsfeld. Aber auf Dauer war mir das zu einseitig. Deswegen habe ich auch damit aufgehört, herkömmliche Vorträge über Kunst zu machen." Stattdessen führte er Obdachlose durch Museen, hielt Vorträge über Comics, Graffiti, Punk - "über eine Kultur, die populär, leicht zugänglich, leicht verständlich und auch leicht finanzierbar ist".

Dass ihm aufgrund einer schweren Erkrankung 1989 der eine und 1992 der zweite Fuß amputiert werden musste, bremste das soziale Engagement des lebenslangen Revoluzzers nicht. Im Gegenteil, 1992 gründete er die Pierre-Ramus-Gesellschaft, um an den, wie er sagte, "für die internationale Szene bedeutendsten aus Österreich stammenden Anarchisten" zu erinnern.

Dieter Schrage starb am Mittwoch, nur einen Tag nach seinem 76. Geburtstag, überraschend an einem Herzstillstand.  (Andrea Schurian/ DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2011)