Tobias Rehberger: "Durch produktive Missverständnisse wird ein Objekt eher angereichert, als dass es Qualität verliert." Rehberger (45) unterrichtet seit 1999 Bildhauerei an der Städelschule in Frankfurt/Main, deren Prorektor er ist und wo er, bei Thomas Bayrle und Martin Kippenberger, einst selbst studierte.   

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 An den Kunstvorstellungen ziehe er wie an einem Kaugummi, verriet er im Gespräch mit Anne Katrin Feßler.

Klosterneuburg - Die heiklen Fragen sind etwa jene, die erkunden, warum etwas Kunst ist, erklärt Tobias Rehberger den Titel seiner ersten Soloschau in Österreich "Junge Mütter und andere heikle Fragen". Solch’ forschender Ernst ist seiner Kunst, die 2009 bei der Biennale Venedig mit einem Goldenen Löwen gewürdigt wurde, auf den ersten Blick gar nicht anzumerken: Grellbunt lackiert, mit allerlei Mustern überzogen, mit Anleihen an Regale, Treppen und Hundehütten wirkt manches so phantastisch, als hätte ein Designer auf Ectasy gewirkt. Manchmal ist Rehberger aber auch weniger zeigefreudig. Dann folgt er eher dem Piloten im Kleinen Prinzen, als ob der sagen würde: "Der Maserati, den du sehen willst, der ist in dieser großen blauen Kiste drinnen". Er strapaziert Vorstellungskraft und Warhnehmungsmuster. An den Farbfeldern einer Skulptur, die wie eine binäre Uhr funktioniert, lässt er im Museum Essl nun die Besucher nachzählen, was es geschlagen hat.

STANDARD: In Ihrer Arbeit gibt oft der Input anderer Person den Ausschlag für ästhetische Entscheidungen. Wie war das bei dieser Ausstellung?

Rehberger: Umgekehrt. Bei den Müttern ist es so, dass Einfluss und Kontrollverlust erst im Nachhinein stattfindet. Mir geht es um das Auflösen der Idee, dass der Künstler die totale Kontrolle über seine Arbeit und damit auch über sich selbst hat. Daran glaube ich nicht. Das wäre ein Genie, der gottähnlich aus sich selbst heraus schafft. Ich glaube, es gibt nichts aus einem selbst heraus.

STANDARD: Nicht nur die Abgabe von Kontrolle, auch das Auslagern von Produktion ist für Ihre Arbeit wesentlich. Vieles basiert auf Zertifikaten, die man erwerben kann, um eines Ihrer Modelle, die Sie „Mütter“ nennen, nachzubauen...

Rehberger: Ja. Und wie man das macht, wie groß, wie genau und wie man es interpretiert, bleibt jedem selber überlassen. Ein Modell ist ja immer auch eine Interpretationsgrundlage. Und selbst wenn jemand andere all diese Entscheidungen trifft, sehe ich es trotzdem als meine Arbeit an.

STANDARD: Ein aus der Konzeptkunst bekanntes Prinzip.

Rehberger: Nicht ganz. Da sollte alles möglichst genau so passieren, wie der Künstler sich das vorstellt. Ich bin aber eher an Missverständnissen und Lücken interessiert, die bei der Übersetzung in ein anderes Gehirn zwangsläufig auftauchen. Dass jemand genau meinen Ideen folgt, interessiert mich weniger als das, was neu hinzukommt, was anders, komisch, seltsam, langweilig wird.

STANDARD: Umwege und Unvorhergesehenes beeinflussen Ihr Werk. Ist das vergleichbar mit dem, was frühere Künstlergenerationen über Aspekte des Zufalls oder das Unbewusste in ihre Arbeiten integrieren wollten?

Rehberger: Es ist so, als würde man das Cadavre Exquis (Anm.: Die Surrealisten fertigten kollektive Zeichnungen an, in dem sie das bereits Gezeichnete durch Knicken verbargen und das Blatt danach weiter reichten.) in eine andere Dimension übersetzen. Ich nenne es immer produktive Missverständnisse. So wird ein Objekt eher angereichert, als dass ihm Qualität genommen wird.

STANDARD: Sie befragen das Verständnis von Kunst, loten seine Grenzen aus. Können Sie eine Antwort gegen, wenn Sie jemand fragt, was Kunst sei?

Rehberger: Nein. Auch die Kunststudenten wollen die Kunst lernen. Aber das geht nicht, weil Kunst sich zu allen Zeiten darum gedreht hat, was sie eigentlich ist und wie man sie in Zusammenhang mit der jetzigen Welt produzieren kann. Man kann als Professor nur so eine Art Matrix vermitteln in der Kunst stattfinden kann. Ich stelle mir den Status Quo der Kunst als eine Art Kaugummi vor. Und je weiter man daran zieht, umso interessanter wird vielleicht die Kunst. Man darf nur nicht soweit ziehen, dass er reißt. Wenn die Verbindung abbricht, ist man im Irrenhaus.

STANDARD: Tobias Rehberger ist also der, der am Koordinatensystem lupf, zieht, manipuliert und schaut, wieviel man machen kann, damit irgendetwas immer noch als Kunst erkannt wird?

Rehberger: Ja. Ich will das, was jemand für Kunst hält und warum, herausfordern. Wo Kunst anfängt und aufhört, halte ich für eine Frage der Perspektive. Etwas ist nicht Kunst, weil es etwas Kunsthaftes in sich trägt, sondern weil man es als Kunst betrachten möchte.

STANDARD: Ihre Arbeiten erinnern stark an Interieur und Design. Geht es Ihnen darum, Kunst mit den Augen des Designs zu betrachten?

Rehberger: Ich glaube, ich benütze Dinge aus anderen Feldern – ob das jetzt Design, Architektur oder ein Auto ist, um zu fragen, ob man dort Qualitäten entwickeln kann, die man auch als künstlerische ansehen kann. Zum Beispiel: An einem Sommertag saß ich einmal in Berlin auf dem Richard Serra-Würfel und fand ihn angenehm kühl. Ungeachtet von Serras Intentionen kann man sich schon fragen, ob das in dem Moment auch eine Qualität dieser Kunst ist. Sie hört sich zunächst funktional an, hat aber auch einen ästhetischen Wert. Kann man dort, wo man bisher keine Qualitäten vermutet hat, welche herstellen?

STANDARD: Im Kaputten kann auch eine Qualität liegen. Einige Arbeiten der Schau haben Disfunktionen. Eine tropft sogar…

Rehberger: Es geht darum, dass man bestimmte Dinge automatisch als Fehler verbucht. Aber sind diese Fehler nicht sogar eine Möglichkeit? Das Paradox ist ja, dass die Disfunktion plötzlich zur Funktion der Arbeit wird. Wie geht man damit um? Oft sind meine Arbeiten nur die Probleme, die ich selbst mit der Kunst habe. Was hält man für einen ästhetischen Wert, was für Kunst? Ist der Serra-Würfel mit dem Arsch angeschaut vielleicht noch interessanter als nur mit den Augen betrachtet?

STANDARD: Was ist ein Werk? Woher kommt es und wohin entwickelt es sich, sind die Fragen, die Sie interessieren. Davon sind viele – etwa mit Duchamp und dem Ready-Made – bereits im 20. Jahrhundert durchgespielt worden. Sind das Fragen, die jede Generation aufs Neue stellen muss?

Rehberger: Ich glaube schon. Wir sind 100 Jahre nach Duchamp, es gibt neue Einflüsse, neue Technologien und Zusammenhänge, die das wieder unklarer machen. Hätte Leonardo da Vinci kein Problem mit seinen Vorgängern gehabt, keinen Mangel empfunden, hätte er genauso getöpfert und gemalt wie alle anderen. Und so wird weiter getöpfert: Durch die Veränderung der Welt entstehen neue Mängel und die müssen geknetet werden.

STANDARD: Stimmt mein Eindruck, dass weniger das Aussehen ihrer Objekte im Vordergrund steht, als ihre Qualitäten als Auslöser: ein Auslöser, der Wahrnehmungsperspektiven ändert?

Rehberger: Aber etwas anderes sind die Dinge ja nie. Als ich das erste Mal eine "Meter Box" von Donald Judd sah, war das ein Schock und ein Auslöser dafür, dass ich plötzlich anders über Kunst nachdenken konnte. Insofern sind die Objekte keine auratischen, anbetungswürdigen Dreidimensionalitäten, sondern Auslöser für die Erweiterung meines Horizontes.

STANDARD: Wie betrachtet man Ihrer Ansicht nach bestenfalls Kunst?

Rehberger: Am besten indem man sich fragt, was man damit anfangen kann, wie man es in Zusammenhang bringen kann, mit dem, was man glaubt, über Kunst zu wissen. Und dabei sollte man vorurteilsfrei sein, keine Klischees benützen und ehrlich mit sich selber umgehen.

STANDARD: Die Lampe in der Rotunde, die nur leuchtet, wenn auch das Licht in Ihrem Atelier brennt variiert eine Situation aus der Hamburger Kunsthalle im Jahr 2000. Da war das allerdings nicht an Ihr Atelie, sondern an den Konferenzraum eines Büros gekoppelt. Verbinden sich die Aspekte der Fremdsteuerung und des Kontrollverlusts auch mit politischen Fragen, etwa jenen der Abhängigkeit?

Rehberger: Die Frage von Kontrolle und Macht sind schon für mich selbst, im persönlichen Bereich politisch. Es sieht vielleicht politischer aus, wenn es etwa Museumsdirektoren, Leute mit gewisser Macht sind, die nicht mehr Herr über das Licht im eigenen Haus sind. Aber auch die Frage, wie viel Macht ich über mich selbst habe, hat eine politische Dimension.

STANDARD: Mit Ihrem Lehrer Martin Kippenberger verbindet Sie eine gewisse Vorliebe für lange, erzählerische Titel. Gibt es etwas, wo Sie sagen: Ja, das habe ich von Kippenberger gelernt?

Rehberger: Ja, mir nicht selbst zu trauen. Er war eben jemand, der es nicht zugelassen hat selbst in ein gewisses Fahrwasser zu geraten oder dass es einfache Wiederholungen gibt. Es als die Hauptqualität zu empfinden, sich selbst zu hinterfragen, war für mich sehr eindrücklich. Und dass man sich nicht selbst auf den Leim geht. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.6.2011. Langfassung)