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Inselzellen der Bauchspeicheldrüse: Die Wirkung des hier produzierten Insulins ist beim Typ-2-Diabetes vermindert.

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Dass die Österreicher zu viel essen und zu wenig Sport machen, ist hinlänglich bekannt. Die unmittelbaren Folgen auch: Nur 45 Prozent der Männer und nur 55 Prozent der Frauen sind laut Statistik Austria normalgewichtig. Aufgrund des Übergewichts treten häufiger denn je Krankheiten wie Typ-2-Diabetes und Herzinfarkt auf. Was bisher in der Öffentlichkeit kaum diskutiert wurde: Unbemerkt verlaufende Entzündungen spielen bei der Entstehung dieser Erkrankungen eine entscheidende Rolle, sie erhöhen das Risiko für einen Typ-2-Diabetes sogar um das Vierfache.

Wissenschafter versuchen nun Schlüsselmoleküle zu identifizieren, die für diese Vorgänge verantwortlich sein könnten. Eine Gruppe an der Med-Uni Wien um den Internisten, Hormon- und Stoffwechselexperten Thomas Stulnig will mit diesem Wissen auch einen Impfstoff entwickeln. Das Ziel: ein Präparat, das man kurz vor oder am Beginn der Erkrankung injiziert, um eine Antikörperreaktion gegen die Schlüsselmoleküle der Entzündung zu provozieren - und den Ausbruch des Typ-2-Diabetes zu stoppen.

Mit einer derartigen Impfung sollte es auch möglich sein, Herzinfarktrisikogruppen dieses im schlimmsten Fall tödliche "Ereignis" zu ersparen. "Wir nehmen nämlich an, dass es Schlüsselmoleküle gibt, die da wie dort eine entscheidende Rolle spielen", sagt Stulnig.

Der Mediziner will keine Prognosen abgeben und daher nicht sagen, bis wann ein entsprechender Impfstoff am Markt sein könnte. Derzeit beschäftigt man sich im eben erst gegründeten Christian-Doppler-Labor für Kardiometabolische Immuntherapie mit Grundlagenforschung - und muss dabei von einer resignativen Erkenntnis ausgehen. Bisher haben sich Ärzte nämlich größtenteils vergeblich bemüht, Risikopatienten zu einer nachhaltigen Gewichtsreduktion und zu mehr Sport zu bringen. "Hinter uns liegen gut zwanzig Jahre, in denen wir das versucht haben. Tatsächlich haben wir es mit einer Gewichtszunahme der Bevölkerung zu tun. Wir müssen der Realität ins Auge schauen", sagt Stulnig, "und dort ansetzen, wo wir Möglichkeiten haben."

Die Impfung sei eine Alternative. Voraussetzung sei allerdings, dass Risikogruppen rechtzeitig für einen Blutbefund zum Arzt gehen. Stulnig glaubt, dass die entsprechenden Entzündungsparameter bis zur Marktreife des Impfstoffs Alltag in der klinischen Praxis sind. "Damit der Arzt auch sieht, dass eine Impfung möglicherweise angebracht ist."

Risikogruppen zum Arzt

Dass damit nur eine mögliche Folgeerkrankung, nicht aber die Ursachen beseitigt werden, weiß der Leiter des Christian-Doppler-Labors. Er meint: "Sie würden auch einem Raucher, der nicht aufhören mag, kein Medikament verwehren, das sein Herzinfarktrisiko reduziert."

Viele Typ-2-Diabetiker wissen allerdings aufgrund mangelnder Symptome erst sehr spät von ihrer Krankheit. Wird dadurch die rechtzeitige Anwendung des Impfstoffes nicht schwierig? Stulnig lässt diesen Einwand nicht gelten. "Das Bewusstsein wächst. Und Risikogruppen zu einer Kontrolle beim Arzt zu bringen, erscheint mir eine durchaus bewältigbare Herausforderung zu sein." Das Doppler-Labor wird einerseits vom Bund (Wirtschaftsministerium, Nationalstiftung) und andererseits von der Affiris AG finanziert. Das Wiener Biotech-Unternehmen hat bereits einen Impfstoff gegen die Alzheimer-Demenz entwickelt.

An der Med-Uni will man nun die gleiche Immunisierungstechnologie für die neue Aufgabe anwenden und im Mausmodell testen. Nach sieben Jahren ist wie bei jedem anderen Doppler-Labor Schluss. Danach sollten klinische Tests für einen entsprechenden Impfstoff möglich sein.

Epidemie der Gegenwart

Der Typ-2-Diabetes gilt als Epidemie der sich schlecht ernährenden Wohlstandsgesellschaft. Dabei produziert die Bauchspeicheldrüse zunächst genug Insulin, die Wirkung des lebenswichtigen Hormons im Körper ist aber herabgesetzt. Hohe Wachstumsraten treiben die Pharmaforschung bei der Suche nach einem möglichen Medikament an: 2030 werden nach Schätzungen der International Diabetes Federation 438 Millionen Menschen weltweit zuckerkrank sein, laut einer aktuellen Studie des Magazins The Lancet sind es derzeit bereits 350 Millionen. 600.000 davon leben in Österreich.

Nur fünf Prozent davon sind Typ-1-Diabetiker, deren Bauchspeicheldrüse aufgrund einer Autoimmunreaktion aufhört, Insulin zu produzieren. Auch hier glaubt man, dass die Ernährung den Ausbruch der Krankheit begünstigen kann. Ein frühzeitiger Umstieg von Muttermilch auf Kuhmilch auf dem Speisezettel von Babys wird als ein möglicher auslösender Faktor in Betracht gezogen. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 29.06.2011)