"Werde mich keiner Geschlechtsumwandlung unterziehen": Laut Naumann irren Verleger, die kaum Frauen führen lassen.

Foto: IWM/Steinkellner

STANDARD: Sie haben im Februar 2010 Ihren Job als Chefredakteur von "Cicero" angetreten. Fühlen Sie sich in Ihrem damaligen Optimismus bestätigt?

Naumann: Nicht nur bestätigt. Anders als viele Produkte in Deutschland und Österreich haben wir nicht mit einem Auflagenrückgang zu kämpfen. Wir haben in diesem Jahr erstmals Gewinne gemacht.

STANDARD: Wie geht es Ihrem Online-Standbein?

Naumann: Wir werden ab Ende Juni einen neuen Auftritt haben, mit allen technischen Möglichkeiten, die es gibt. Wir werden aber nicht zweimal täglich eine neue Nachrichtenseite aufbauen, wie das alle andere machen - und sie machen es alle gleich, oft genug bis in die Überschriften genau. Warum soll ich dahin oder dorthin klicken, wenn ich überall das Gleiche lese? Wir werden eigene Analysen und wesentlich längeren Texte bringen, vielleicht nicht ganz so sexy für eine Lesergeneration, die keinen langen Texte mehr lesen will. Und wir werden uns auf die Hauptstadtpolitik konzentrieren, auf das politische Milieu Berlins.

STANDARD: Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?

Naumann: Zur Zeit geht gerade der rabiateste und gravierendste Eingriff in die Wirtschaftsstruktur des Landes seit 1949 über die Bühne, die Änderung in der Energiepolitik. Das geht doch ein bisschen sehr schnell. Es bedeutet nicht, dass wir eine Pro-Atom-Politik propagieren wollen, wir wollen lediglich darauf hinweisen und etwa diskutieren, wie die Parlamentarier über ihre politische Entmannung nachdenken. Hier läuft etwas sehr Ungewöhnliches ab.

STANDARD: Wo sehen Sie heute die wirtschaftlichen und politischen Kräfte, die einen unabhängigen Journalismus ermöglichen und in Ruhe lassen?

Naumann: Wir schauen ja immer nach Amerika, um zu sehen was auf uns zukommt. Das ist nicht immer richtig. Wir haben eine andere mediale Unternehmerstruktur hierzulande. Die Zeitungen sind in der Mehrzahl nicht börsennotiert. Als die US-Zeitungsketten an die Börse gingen, übernahmen die Betriebswirte die Macht. Dadurch wurden sich die Zeitungen immer ähnlicher, die Lokalzeitungen haben als Kopfblätter an Autorität in der eigenen Stadt verloren, weil immer weniger berichtet wurde. In Deutschland aber wohnen 82 Millionen Menschen auf einem Gebiet, dass nicht viel größer ist als der Staat Oregon. Das hat zur Folge, dass unsere Lokalzeitungen immer noch einen relativ großen Leserstamm haben und damit überleben können, wenn die Verleger es richtig machen und nicht anfangen, betriebswirtschaftliche Überlegungen an die Spitze zu setzen, qualifizierten, mithin teuren Journalisten kündigen und billige Hilfskräfte einsetzen.

STANDARD: Welche Probleme sehen Sie außerdem?

Naumann: Eines, dass wesentlich dramatischer ist: der Abschied einer ganzen Generation von den Printmedien. Auch Studenten aus bildungsnahen Familien abonnieren, nachdem sie das Haus verlassen haben, keine Zeitung mehr. Sie behaupten, sich online zu informieren. Nun, die wahrscheinlich beste journalistische Netz-Präsenz ist die der "New York Times". Die durchschnittliche Verweildauer der Nutzer auf ihren Seiten beträgt allerdings nur 30 Minuten - pro Monat! Die jungen Leute, die glauben, sie seien informiert, müssen sich eingestehen, dass sie im Schnitt eine Minute pro Tag "Zeitung" lesen. Sie informieren sich aber auf diese Weise nicht, das geht gar nicht. Diese so genannten User glauben, dass es einmal eine Website unter dem Titel "Weltdeutung und Sinnzusammenhang" geben wird.

STANDARD: Und das möglichst in einer Minute.

Naumann: Genau. Das ist eine politische und kulturelle Veränderung, die mir Sorgen bereitet. Es kommt auch für die Verlage darauf an, dieser Entwicklung in irgendeiner Form entgegenzutreten. Die Hauptaufgabe aber liegt, Sie werden lachen, in den Familien.

STANDARD: Ich lache nicht. Das ist sicher auch eine Erziehungsfrage.

Naumann: Wenn jemand nicht interessiert genug ist oder nicht genug Geld hat, eine Zeitung zu abonnieren, dann liegt das auch an den Eltern. Dann würde ich denen sagen: Schenken Sie ihren Kindern ein Abo möglichst einer überregionalen Zeitung, damit die nicht plötzlich überrascht sind, dass sich in der Gesellschaft Entwicklungen durchsetzen, die sie nicht mehr kontrollieren und verstehen können. Eine schlecht informierte Gesellschaft ist immer anfällig für undemokratische Prozesse, das ist überhaupt keine Frage. Wenn man sagt, die Welt ist mir zu kompliziert geworden, ....

STANDARD: .... hat man schon halb verloren.

Naumann: Ja. Bei Robert Musil gibt es einen wunderbaren Satz, der geht ungefähr so: Immer, wenn jemand sagt, das ist mir jetzt zu dumm geworden, dann sollte er berücksichtigen, dass dieses Etwas vielleicht er selber ist.

STANDARD: Aus aktuellem Anlass: Bei der "New York Times" wurde gerade eine Frau, Jill Abramson, zur Chefredakteurin. Wir haben Alexandra Föderl-Schmid als Chefin im STANDARD. Aber sonst sieht man nicht viele Frauen an der Spitze von Medien, in Deutschland wohl auch nicht.

Naumann: Nun, an der Spitze der „taz" gibt es immer wieder Frauen. Aber Sie haben Recht, es ist erstaunlich, wie wenige Frauen sich an die Spitze von Medien hochkämpfen. Das liegt aber nicht so sehr an den Frauen, sondern an den Besitzern der Zeitungen. Ich wüsste eine Menge von Frauen, die jede deutsche Zeitung leiten könnten. Aber als ich bei der „Zeit" anfing, 1970, da gab es gerade drei Frauen, unter ihnen die Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff. Inzwischen ist das Verhältnis ca. 40 zu 60.

STANDARD: Und bei "Cicero"?

Naumann: Unter den schreibenden Kollegen haben wir Judith Hart, die Redakteurin der Weltbühne. Ich selbst werde mich nicht einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, ich weiß nur eins: Solange die Verleger nicht verstehen, dass zumal Zeitschriften auch, wenn nicht sogar mehrheitlich von Frauen gekauft und gelesen werden, werden sie diese Zielgruppe verfehlen. Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dann werden auch mehr Frauen diese Produkte lesen - und machen. (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 28.6.2011/Online-Langfassung)