Vater Noam Shalit wendet sich an die Presse.

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Gilad Shalit als Sohn der israelischen Nation.

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Orna Schimoni, Mutter eines getöteten israelischen Soldaten, gründete mit drei anderen Frauen, deren Söhne im Libanon stationiert waren, die „Vier-Mütter-Bewegung.

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Gilad Shalit ist der verlorene Sohn Israels. Er wurde am 25. Juni 2006 von Hamas-Milizen an der Grenze zum Gazastreifen entführt. Seitdem sitzt er in Gefangenschaft. Direkt vor der Jerusalem-Residenz von Benyamin Netanyahu in der Gaza Straße steht das Zelt in dem die Shalit-Familie, ihre Freunde und freiwilligen Helfer von früh bis spät ausharren. Fast jeden Tag gehe ich daran vorbei und sehe wie Autobusse Schulkinder und Touristen hierher bringen. Es ist eine Pilgerstätte. Hunderte gelbe Bänder mit Wünschen sind an einen Baum gebunden. Kein Quadratmeter bleibt unbedeckt von Transparenten und Bildern. 1827 Tage Gefangenschaft zählt eine große Anzeige-Tafel, die außen am Zelt hängt.

An diesem Sonntag spricht Gilads Vater wieder einmal vor dutzenden Kameras und Mikrofonen zur israelischen Öffentlichkeit. Aber eigentlich sind seine Worte an die Regierung gerichtet. Premierminister Netanyahu solle endlich den nötigen Preis für die Freilassung seines Sohnes zahlen. Mit einer neuen Kampagne will er über öffentliche Meinung Druck ausüben. Alle, die den Tausch von 1000 palästinensischen Häftlingen für Gilad Shalit befürworten, sollen eine SMS mit „stimme zu" an die Nummer 5252 schicken.

Eine, die sich besonders stark für die Freilassung einsetzt, ist Orna Schimoni. Ihr Sohn Eyal wurde 1997 im Südlibanon getötet, den Israel zwischen 1982 und 2000 als sogenannte „Sicherheitszone" besetzt hielt. Nach dem Tod ihres Sohnes gründete sie mit drei anderen Frauen, deren Söhne im Libanon stationiert waren, die „Vier-Mütter-Bewegung" und hat damit entscheidend zum späteren Truppenabzug beigetragen. „Jetzt kämpfe ich für die Freilassung von Gilad", sagt sie und erklärt, dass sie schon zu erschöpft sei, um zu erzählen.

Doch wie ist es zu erklären, dass eine gesamte Nation Kopf steht, wegen eines einzigen Soldaten in Gefangenschaft? Der israelische Anthropologe Professor Eyal Ben-Ari hat eine mögliche Antwort. „In Israel besteht ein besonderes Abkommen zwischen einem Soldaten und seiner Armee: Er riskiert sein Leben für das Land, aber wenn er verwundet oder gefangen wird, muss die Armee sich um ihn kümmern." Und Gilad Shalits anhaltende Gefangenschaft sei eben eine Verletzung dieses Abkommens. In Israel, wo 18-jährige Männer verpflichtend für drei Jahre, und Frauen für zwei, Militärdienst ableisten, sitzt dieser soziale Vertrag besonders tief in der Psyche der Gesellschaft. „Er war 19, als sie ihn entführt haben. Gilad Shalit ist ein Sohn der israelischen Nation. Niemand von außen kann sich vorstellen, welche Gefühle hier mitspielen." (Andreas Hackl)