Hagnot Elischka, Produzent und Schauspieler, ist seit 15 Jahren "Simulierter Patient" am Wiener AKH. In "Traumacity" nimmt er sich den Folgen der Postraumatischen Belastungsstörung an.

Foto: derstandard.at/schlögl

Seelenkrankheit wird Theaterperformance: eine Momentaufnahme.

Foto: ines kratzmüller

Die Schauspielerin Eva Linder in "Traumacity".

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Der Horror ist eine Kinderzeichnung. So sieht zumindest das, was Frau P. hingemalt hat, auf den ersten Blick aus. Bei genauerem Hinsehen erweist sich jedoch das auf den Sichtbeton projizierte Blatt als eine Kartografie einer devastierten Seele. Frau P., wie sie sich selbst sieht: als ein hässlicher Käfer, der von einem konturlosen Dämon bedroht wird. "Wir schlagen die Susi", ist in einer Sprechblase über dessen verwachsener Fratze zu lesen. Das mit wenigen Strichen hingekrakelte Haus, in dem Frau P. die Szene spielen lässt, wird von Monstern, fliegenden Kopffüßern bedroht, darüber steigt ein zerfetzter Himmel auf, aus dem ein Bündel Blitze schießt.

Nichts weniger als ein Pandämonium des Grauens hat die Mitt-Dreißigerin mit dieser Porträtaufnahme ihres Innersten angefertigt. Eine Frau, die in ihrer Kindheit von den Eltern geschlagen wurde. Bloß der Bruder hielt zu ihr, beschützte sie. Als der bei einem Motorradunfall starb, brach ihr das Leben unter den Füßen weg. 

15 Fallstudien auf der Bühne

Sie verlor den Job, verfiel in Depressionen. Immer wieder berichtete sie von "fremden Händen", die sie heimlich berühren würden. Bis sie den Entschluss fasste, sich zum Bruder ins Grab zu legen. Es folgte ein Selbstmordversuch - und die dürre Diagnose des behandelnden Arztes: Posttraumatische Belastungsstörung.

Frau P.s Schicksal ist nur eine von insgesamt 15 psychiatrischen Fallstudien, die zur Zeit im Palais Kabelwerk von der Theatergruppe "Einmaliges Gastspiel" zum Leben erweckt werden. "Traumacity" heißt das dokumentarische Stück, das die Schicksale von anonymisierten Patienten und Patientinnen auf die Bühne bringt. Allesamt leiden sie an den Auswirkungen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Flashback aus dem Nichts

Als deren Auslöser werden in der Medizin eine Vielzahl an traumatischen Erlebnissen benannt. Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, Kriegserfahrungen, Folter, aber auch Mobbing und Beziehungsprobleme listen die Klassifizierungskataloge akribisch als Ursachen auf. Doch die Folgen dieser Terrorattacken auf die Psyche sind mannigfach - und schwierig zu diagnostizieren. Angstzustände, Depressionen, Teilnahmslosigkeit, gesteigerte Aggressivität, Suizidgedanken, Albträume, Alkoholismus, aber auch eine andauernde Persönlichkeitsveränderung gehören zu den möglichen Auswirkungen.

Doch selbst jene, die unversehrt einen schweren Schicksalsschlag überwunden oder die Verletzung der Seele ausgeheilt haben, können Monate, sogar Jahre danach von einer Posttraumatischen Belastungsstörung heimgesucht werden.

Bilder, eine Stimme, eine überraschende Begegnung, ja sogar ein bestimmter Geruch genügen, um die im Gehirn abgekapselte Erinnerung an das traumatische Erlebnis wieder hervorbrechen zu lassen. "Flashback" wird dieses Phänomen in der Medizin genannt. Offenbar zeit- und ortlos taucht das Leid, die Angst wieder auf - und mit ihnen die für Außenstehende mitunter seltsamen, verrätselten Reaktionen der Betroffenen.

Schützengraben im Vorgarten

So wie bei jenem deutschen Bundeswehr-Soldaten, der scheinbar unversehrt von seinem Afghanistan-Einsatz zurück nach Hause, in sein gutbürgerliches Heim, kam. Wochen nach seiner Rückkehr begann er mitten in der Nacht hinter seinem Haus einen Schützengraben auszuheben. Tagsüber saß er mit dem Feldstecher im Baum und observierte die Umgebung. Anfangs reagierten die Nachbarn bloß mit Erstaunen und wunderten sich über den schrägen Kauz.

Erst als der Mann auch vor seinem Haus einen weiteren Schützengraben aushob, reagierten die Nachbarn - und hetzten ihm die Behörden auf den Hals. Ein Schützengraben im Vorgarten würde schließlich das Ortsbild zerstören, empörten sich die Anrainer. Von Anteilnahme keine Spur.

Dutzende Fälle wie diese hat das Ensemble rund um den Produzenten und Schauspieler Hagnot Elischka zusammen getragen und seziert. Unterstützt wurden sie dabei von Experten wie der Trauma-Therapeutin Sylvia Windsperger und dem Leiter der Verhaltensmedizinischen Schmerzambulanz am Wiener AKH, Martin Aigner. Nach einem halben Jahr Recherche wurden 15 Schicksale ausgewählt, die im Mittelpunkt der knapp zweistündigen Aufführung stehen. "Es ging uns vor allem darum, psychische Krankheiten zu entstigmatisieren", sagt Schauspielerin Eva Linder. "Eine Traumatisierung kann schließlich jeden treffen."

Psychopathen von Berufs wegen

Konsequent versagt sich "Traumacity" jeden voyeuristischen Blick. Kurze biographische Vignetten wechseln mit Erzählungen aus der Ich-Perspektive ab. In diesem Momenten, wenn authentische Schicksale, der zehrende Kampf mit der Psyche, ein Gesicht bekommen, wird "Traumacity" am dichtesten. Ganz ohne Effekthascherei kommt dieses Psycho-Kammerspiel aus. Realität braucht keine Bühnentricks.

Der sensible Umgang mit den Biographien von psychisch Kranken kommt nicht von ungefähr - sind doch drei der Ensemblemitglieder quasi Psychopathen von Berufs wegen: Hagnot Elischka, Eva Linder und Gabriela Hütter schlüpfen seit mehreren Jahren im Rahmen einer Lehrveranstaltung in der psychiatrischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in die Rolle psychisch Kranker. Insgesamt zehn Krankheitsbilder - vom Borderline-Syndrom über Depression bis hin zu Alkoholismus - haben die Darsteller im Repertoire.

Auf Psychiatrie folgt Traumacity

Dabei beschränkten sich die Schauspieler nicht nur darauf, ein paar Ticks und Sprachmuster auswendig zu lernen - das Ziel war nichts weniger als einen möglichst exakten Klon des jeweiligen Patienten abzubilden. Seitdem können ein Mal im Semester angehende Therapeuten mit diesen "Simulierten Patienten" trainieren - ein in Österreich einzigartiges Projekt.

Vor etwas mehr als einem Jahr präsentierten Elischka & Co ihre Psycho-Patienten im Meidlinger Palais Kabelwerk erstmals auf der Bühne. In "Psychiatrie!" fand sich das Publikum unvermittelt als Bestandteil der Therapeutenausbildung wieder. Mit Erfolg: Die beklemmende, frugal inszenierte Doku-Performance aus den Außenbezirken der Wiener Theaterszene wurde vergangenes Jahr mit einer Nestroy-Preis-Nominierung geadelt.

"Traumacity" nimmt sich nun eines weiteren Kapitels aus dem Lehrbuch der psychiatrischen Krankheiten an. Jene Sogwirkung, die „Psychiatrie!" dank der detailreichen, authentischen Darstellung psychiatrischer Erkrankungen entwickelte, vermag "Traumacity" nicht in allen Szenen aufzubauen. Fesselnd ist dieses bemerkenswerte Stück allemal. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 27.6.2011)