Verwaltungsreform-Experte Wolfgang Gratz: Es ist immer weniger gefragt, dem Chef die Wahrheit zu sagen.

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Wien - Kein anderes Industrieland hat es so gut wie Österreich geschafft, den öffentlichen Dienst zu reduzieren. Das ist die positive Botschaft des am Freitag erschienenen Berichts "Government at a Glance 2011" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): "Zwischen 2000 und 2008 verringerte Österreich staatliche Beschäftigung gemessen als Anteil der Gesamtbeschäftigung um 2,1 Prozentpunkte auf 11,4 Prozent, deutlich unter den OECD-Schnitt von 15 Prozent." Dies sei zum Teil - aber nicht zur Gänze - auf Ausgliederungen im Gesundheitsbereich zurückzuführen.

Die OECD hat auch die Bezahlung und die sonstigen Einkommensbestandteile der öffentlich Bediensteten berechnet: Die meisten öffentlich Bediensteten arbeiteten pro Jahr etwas mehr als der Schnitt ihrer Kollegen in den 33 OECD Staaten - die Bezahlung im mittleren und oberen Regierungsmanagement liege allerdings leicht unter dem Schnitt.

Auch die Gehaltsstruktur habe sich verbessert, heißt es in dem Bericht - seit 2005 seien mehr leistungsabhängige Gehaltsbestandteile eingeführt worden, diese würden aber immer noch weniger eingesetzt als im OECD-Schnitt.

All das hat aber nur bedingt damit zu tun, ob die Verwaltung effizient arbeitet, sagt der Wiener Verwaltungsökonom Wolfgang Gratz. Für seine in dieser Woche im "Neuen Wissenschaftlichen Verlag" veröffentlichte Studie "Und sie bewegt sich doch" hat Gratz Entwicklungstendenzen der Bundesverwaltung untersucht.

Im Standard-Gespräch erläutert er: "Österreichs Verwaltung ist relativ gut darin, neue Instrumente wie Controlling und Qualitätsmanagement einzuführen - aber ob das dann auch bei den Bürgern ankommt, das hängt sehr vom Führungspersonal ab."

Und, pointierter: "Auf Marktplätzen macht die Verwaltung keine guten Geschäfte." Dabei müsse man bedenken, dass Managementsysteme generell nicht besonders gut in die traditionsgeladene österreichische Verwaltungskultur passen.

Diese sei ihrerseits wiederum einem starken Wandel unterworfen, sagt Studienautor Gratz: Noch bis in die 1980er-Jahre hätten die Minister mit relativ kleinen Kabinetten ihre jeweiligen Ressorts geführt - das habe die Minister zur Zusammenarbeit mit den beamteten Sektionschefs gezwungen. Umgekehrt hätten die Sektionschefs, damals noch auf unbestimmte Zeit bestellt, ungeachtet der eigenen politischen Einstellung mit dem jeweiligen Minister gut zusammengearbeitet.

Als dann auf fünf Jahre befristete Dienstverträge eingeführt wurden, wurde das in der Öffentlichkeit als großer Fortschritt gefeiert - schließlich konnten nunmehr in den Ausschreibungen auch qualifizierte Praktiker aus der freien Wirtschaft berücksichtigt werden; und die Ressortführung kann Spitzenfunktionen nach Ablauf der fünf Jahre mit neuen Personen besetzen, wenn der jeweilige Amtsträger nicht für eine Weiterbestellung geeignet erscheint.

Graue Theorie, sagt Verwaltungsökonom Gratz: "Die Befristungen haben dazu geführt, dass Spitzenbeamte deutlich geschmeidiger geworden sind, sie wollen ja wieder bestellt werden. Es ist immer weniger gefragt, dem Minister die Wahrheit zu sagen."

Zudem könnten sich Sektionschefs und Abteilungsleiter mehr und mehr zurücklehnen, wenn es darum ginge, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen.

Die Macht der Kabinette

Denn seit etwa 20 Jahren sei die wahre Gestaltungsmacht in die Ministerkabinette gewandert, die derzeit rund 150 Mitarbeiter beschäftigen. "Da kommt es zu einer Verschiebung von Verantwortung. Eigentlich haben die Mitarbeiter der Minister kein Weisungsrecht, aber dass jemand einer rechtswidrigen Weisung widerspricht, wenn sie im Namen des Ministers erfolgt, wäre ungewöhnlich", meint Gratz.

Auf dieses Problem hatte auch der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Ludwig Adamovich bei der Untersuchung der Affäre Kampusch hingewiesen. Die von Adamovich geforderte schriftliche Dokumentation von Weisungen aus dem Kabinett ist generell unterblieben. "Der kleine Beamte an der Front wird zugeschüttet mit Gesetzen und Verordnungen, die penibel zu befolgen sind - ganz oben herrscht eine andere Kultur, ein rechtsfreier Raum an der Spitze", klagt Gratz.

Wobei das mangelnde Rechtsbewusstsein im Umfeld mancher Minister nur ein Teil des Übels sei. Tatsächlich sei informell eine weitere Verwaltungsebene eingezogen worden, die zumindest verrechtlicht werden müsste. International gehe aber der Trend zum Abbau von Verwaltungshierarchien - doch dazu bedürfte es der lange angekündigten Bundesstaatsreform, "da braucht man nicht weiterzureden". (Conrad Seidl, STANDARD-Printausgabe, 25./26.6.2011)