Das Bergauffahren mit dem Rad ist am Pikes Peak verboten. Das Naturerlebnis beschränkt sich also aufs Bergabrollen.

Foto: Rottenberg

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Pikes-Peak-Touren (und anderer Radabenteuer): http://www.bikithikit.com

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Grafik: DER STANDARD

Auf 3900 Metern kommt die Pumpe ziemlich rasch in einen Schlagzahlbereich, der nicht mehr gesund ist. Dafür muss man gar nicht von unten, aus dem Tal, bis hier herauf gestrampelt sein. Obwohl "unten" relativ ist: Schließlich liegt Colorado Springs 6035 Fuß über dem Meer. Das sind 1840 Meter Seehöhe. Flachländer kommen manchmal schon da ins Schnaufen.

"Versuch es einfach", hatte Harvey Heaston, einer der drei Guides, gemeint, als er den Bus nach einer 24,5 Meilen (knapp 40 Kilometer) langen Bergfahrt anhielt und begann, Mountainbikes vom Dach zu laden. Harvey wusste, was kommen würde: Das kurze Aufjaulen einer Polizeisirene. Der Parkranger im Auto in der Kehren nimmt seinen Job ernst: Wenn heute das Ende der Bergstrecke auf den Pikes Peak - den mit 14.110 Fuß (4301 Meter) höchsten Berg bei Colorado Spring - aufgrund der Schneeverhältnisse weiter oben ist, dann ist hier eben Schluss. Abgesehen davon, dass das Bergauffahren mit dem Rad am Pikes Peak ohnehin verboten ist.

Während die Guides Bikes verteilen, Sattelhöhen einstellen, vom Wechsel der Gänge auf den Tretkurbel-Zahnkränzen abraten, vor der Vorderbremse warnen - und den dann fragend schauenden Gästen erklären, welche Bremse wo greift, schweift der Blick über das Panorama: Der Pikes Peak liegt in der "Front Row" der Rocky Mountains - dann kommt die Endlosigkeit der Prärie. Das klingt nach Klischee - und ist eines. Aber: Das Klischee ist beeindruckend. Sehr beeindruckend.

"Nicht überholen. Rechts von den Guides bleiben. Nicht vor die Guides fahren. Nicht hinter die Guide zurückfallen. Autos gibt es nicht: Der Van hält uns den Rücken frei." Die Guides instruieren ein letztes Mal. "Keine Angst, die Bremsen überhitzen nicht. Wir werden oft stehen bleiben. Aber: Nicht stehen bleiben, wenn wir nicht stoppen!"

Die Straße ist zweispurig. Sie ist gut asphaltiert (bis auf eine zwei Kilometer lange, betonhart planierte Erdpiste) schneefrei - und trocken: Mountainbikes passen optisch, praktisch sind grobstollige Reifen die falsche Wahl. Aber so schnell, dass irgendetwas zu flattern beginnen könnte, werden wir nicht: Gemächlich rollt der Konvoi gen Tal. Ausblick schlägt Tempo: Schnee und Felsen. Wälder und Seen - und der Blick in die Weite.

Als es nach an einem Bilderbuchsee kurz bergauf geht, stellt der Fahrer den Van schräg: Eigentlich sollten die Räder für die Steigung wieder aufs Dach. Damit dabei niemand vor ein Auto läuft, wird die Straße blockiert. Ben Engelhaardt, einer der Guides, schüttelt den Kopf: "Man kann es wirklich auch übertreiben", murmelt er. Ben ist neu. Es ist sein erster Arbeitstag: Bisher war Ben Waldbrand-Feuerwehrmann. Er sprang per Fallschirm in Brandzonen ab. Aus Liebe zu seiner Freundin wurde er sesshaft. An die Usancen amerikanischer Hochsicherheits-Extremsporterlebnisse muss er sich erst gewöhnen. Der Blick von Ober-Guide Harvey wischt das sarkastische Grinsen aus Bens Gesicht: Ben braucht den Job.

Die Pikes-Peak-Tour, die Tini Campbells Outdoor-Unternehmen "Challenge Unlimited" seit mittlerweile 20 Jahren anbietet, ist aber mitnichten ein Ausreißer im weiten Land des amerikanischen Mega- und Über-Protektionismus. Wo sich die Angst vor Schadenersatz- und Schmerzensgeldklagen mit der Sehnsucht nach Pionierfeeling paart, sind Weichspül-Abenteuer das Ergebnis: Grenzerfahrungen mit drei Sicherheitsnetzen, Catering, Pausen-Taste und Klimaanlage - aber ohne Eigenverantwortung und Konsequenzen, echtem Risiko oder hässlichen Schweißflecken. Wer der Masse jenes Abenteuer anbieten will, das konsumiert zu haben, Zeitgeist und Gazetten gebieten, hat gar keine andere Wahl: Bevor Campbell die Behörden von Colorado Springs davon überzeugte, dass das Herabrollen vom Pikes Peak ein touristisches Highlight sein könnte, war Radfahren auf der Mautstraße mit dem vielleicht spektakulärsten Ausblick der Rockies überhaupt verboten. Hinauf wie hinunter.

Die Himalaya-Trekkerin Campbell änderte das. Weil es ein gutes Geschäft ist - und weil sie weiß, dass auch noch die kontrollierteste Fahrradbummelei mehr Naturerlebnis vermittelt als jede Autofahrt. Dass das Marketing über die Suggestion der Asset-Troika (Grenzgang, Natur, Selbsterfahrung) der Trend-Branche Outdoor-Experience geht, ist logisch - nur wer genau schaut, findet den Hinweis auf den Weichspüler im Hardcore-Outfit: "If you can sit on a bike, you qualify", steht auf der Homepage. Freilich ist auch das Extremsport. Das bestätigt nicht zuletzt Reinhold Messners Mantra: "Extremsport ist individuell. Es ist für jeden das, was einen Schritt weiter liegt, als das Gewohnte." (Thomas Rottenberg/DER STANDARD/Rondo/24.06.2011)



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Noch mehr Bilder vom wilden Bergabradeln gibt's in dieser Ansichtssache.