Panoramablick auf den drei Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxienhaufen Abell 2744

Foto: NASA, ESA, ESO, CXC & D. Coe (STScI)/J. Merten (Heidelberg/Bologna)

Heidelberg/Garching - Das wäre dann wohl die größte Massenkarambolage aller Zeiten - zumindest bis Astronomen auf Spuren einer noch größeren stoßen: Wahrscheinlich waren es mindestens vier einzelne Galaxienhaufen, die hier zusammengeprallt sind, berichtet die Europäische Südsternwarte (ESO) in Garching bei München. Unfallsort ist der etwas mehr als drei Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxienhaufen Abell 2744, die Zeit nicht genau festzumachen: Der Prozess erstreckte sich über insgesamt 350 Millionen Jahre. In irdischen Maßstäben entspräche dies der Spanne vom Karbon mit seinen Rieseninsekten und ersten Reptilien bis zur Gegenwart.

Das internationale Astronomenteam um den Heidelberger Forscher Julian Merten rekonstruierte das Ereignis, aus dem letzlich ein Galaxienhaufen mit vielen Billionen Sternen entstand, mittlerweile "Pandora-Cluster" benannt. "Genau wie ein Unfallsachverständiger, der die Trümmerstücke wieder zusammensetzt, um die Unfallursache zu finden, können wir mit Beobachtungen solcher kosmischen Massenkarambolagen den Ereignissen auf die Spur zu kommen, die sich über Hunderte von Millionen Jahren hinweg während des Zusammenstoßes abgespielt haben", erklärt Merten. Die Forscher nutzten für ihre Studie starke Teleskope wie das Very Large Telescope (VLT) der ESO in Chile und das Weltraumobservatorium Hubble.

Ungewöhnliche Zusammensetzung des Galaxienhaufens

Die Astronomen entdeckten dabei eine Reihe von Besonderheiten. Die einzelnen Galaxien machen den Angaben zufolge lediglich fünf Prozent der Gesamtmasse des entstandenen Galaxienhaufens Abell 2744 aus. Der Rest bestehe zu etwa 20 Prozent aus Gas, das so heiß ist, dass es nur im Röntgenbereich zu sehen ist, und zu etwa 75 Prozent aus Dunkler Materie, die ihre Gegenwart allein durch ihre Schwerkraftwirkung verrät.

Die ungleichmäßige Verteilung der verschiedenen Arten von Materie in dem Haufen sei sehr ungewöhnlich, berichten die Astronomen. Die Zusammenstöße hätten offenbar einen Teil des heißen Gases und der Dunklen Materie voneinander getrennt. So scheint es in einem Teil des Haufens Galaxien und Dunkle Materie zu geben, aber so gut wie kein heißes Gas. Das Gas könnte während der Kollision abgestreift worden sein, so dass nun nur noch ein schwacher Schweif davon zu sehen ist.

In der Nähe des Zentralbereichs des Haufens hat sich hingegen eine Art "Geschoss" gebildet, das entstand, als das Gas eines der ursprünglichen Haufen mit dem Gas eines anderen kollidierte und dabei eine Stoßwelle ausbildete. Die Dunkle Materie konnte diese Region vollkommen ungehindert durchdringen.

Noch weit ungewöhnlichere Phänomene fanden die Wissenschafter in den Außenbereichen des Haufens. Eine Region in diesen Bereichen enthält beträchtliche Mengen an Dunkler Materie, aber weder leuchtkräftige Galaxien noch heißes Gas. Ein weiterer Klumpen heißen Gases scheint herausgeschleudert worden zu sein, allerdings in Vorwärtsrichtung, so dass er sich nun vor statt hinter der zugehörigen Dunklen Materie her bewegt. (APA/red)