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Gleichgewicht halten ist schwer, auch für diesen Seelöwen. Die Eurozone kommt aber auch ins Wanken, wenn die Ungleichgewichte zwischen den Ländern zu groß sind, wie derzeit gut zu sehen ist.

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Engelbert Stockhammer

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STANDARD: Die Eurozone leidet unter riesigen Ungleichgewichten. Was sind die Gründe dafür?

Engelbert Stockhammer: Wenn Spanien, Griechenland oder Portugal Leistungsbilanzdefizite haben, muss es auch Länder mit Überschüssen geben. Das sind im Prinzip Länder wie Deutschland, Österreich, Niederlande. Daher sind die deutschen Exportüberschüsse logischerweise Teil des griechischen oder spanischen Problems.

STANDARD: Welche Korrekturen sind in der Eurozone notwendig?

Stockhammer: Das, was die mediterranen Länder jetzt brauchen, ist eine Abwertung von 20 oder 30 Prozent. Sie brauchen de facto über zehn Jahre jeweils zwei bis drei Prozentpunkte weniger Inflation und damit geringere Lohnabschlüsse als Deutschland. Da sich aber die deutschen Löhne nicht viel bewegen, heißt das, dass die Preise und die Löhne fallen müssen. Das ist eine masochistische Anpassungsmethode und sozialpolitisch irrsinnig gefährlich.

STANDARD: Gibt es Alternativen?

Stockhammer: Wenn Deutschland höhere Lohnabschlüsse erzielte, würde das die Situation der mediterranen Länder erleichtern. Käme Deutschland auf fünf Prozent Lohnanstieg, könnte sich der Süden immer noch zwei bis drei Prozent erlauben und ohne Deflation oder gar Depression durchsegeln. Die Lohnpolitik, speziell die deutsche, hätte eigentlich eine sehr zentrale Rolle in der Aufarbeitung des Ungleichgewichtes.

STANDARD: Das Problem ist doch auch, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und letztlich Europas nach unten nivelliert würde.

Stockhammer: Die Gefahr besteht. Doch wenn die Eurozone eine Währungsunion ist, kann Deutschland nicht auf Dauer versuchen, Nettoexporte mit anderen Euro-Ländern zu haben. Außer Deutschland ist auch bereit, die Umverteilung vorzunehmen. Es muss eine Form von Koordination von Lohnpolitik in Europa geben. Soll der Euro gerettet werden, braucht es deutlich höheres Lohnwachstum in Deutschland. Die deutschen Reallöhne sind in den letzten zehn Jahren nicht gewachsen; daher ist auch die Binnennachfrage nicht gewachsen.

STANDARD: Der neue Europakt geht stärker auf Ungleichgewichte ein. Reicht das?

Stockhammer: Nein, das reicht nicht aus. Die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit ist nicht Teil dieses Paketes, denn sonst müssten ja in Deutschland die Löhne oder die Lohnstückkosten deutlich stärker steigen. Zu glauben, dass der Süden ein Produktivitätswunder erleben wird und das Wachstum in zehn Jahren zwanzig Prozent über dem deutschen liegen wird, ist gelinde gesagt utopisch.

STANDARD: Aber die Deflationierung der Löhne geht ja dahin, dass die Wettbewerbsfähigkeit steigt.

Stockhammer: Es geht in die Richtung, nur der Preis ist ein gewaltiger. Das heißt de facto, dass das Volkseinkommen stark schrumpfen wird und ist im Prinzip das, was man in der großen Depression in den 30ern gemacht hat. Wenn man das Volkseinkommen um 20, 30 Prozent sinken lässt und Arbeitslosenraten von 20 Prozent plus akzeptiert, und das über zehn Jahre hinweg, dann kann man die Löhne wirklich so weit senken.

STANDARD: Könnte nicht quasi eine Schocktherapie helfen? In Irland oder Lettland gibt es Signale dafür.

Stockhammer: Lettland ist so ziemlich das einzige Land, wo das funktioniert hat. Den Griechen oder Portugiesen, die ihre Lebensstandards über ein, zwei Generationen aufgebaut haben, zu sagen: "Bitte jetzt alles ein Drittel kürzen", und zu glauben, dass es da zu keinem Volksaufstand kommt, das kann ich mir als EU-Bürokrat oder in der Studierstube vorstellen, aber nicht in der Realität. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 22.6.2011)