Ein Spiel mit Größenverhältnissen: Die Künstlerin Reem al Gaith vor ihrer Installation "What's Left of My Land".

Foto: AnnA BlaU

In ihrer Heimat dürfen sie weder wählen noch ein Auto lenken oder ohne Genehmigung eines männlichen Familienmitglieds das Land verlassen. Im Arsenale der Biennale posierten die Künstlerinnen Shadia and Raja Alem dennoch ohne Schleier für die Fotografen. Die Schwestern bespielen den Pavillon Saudi-Arabiens - ein Zeichen für Modernisierung? So unverhüllt müssten die Künstlerinnen zu Hause mit einer Strafe der Religionspolizei rechnen.

Der Beitrag der aus Mekka stammenden Künstlerinnen gestaltet sich (obrigkeits-)gefällig: The Black Arch nennt sich eine dunkel glänzende Installation, bei der auf spiegelnden Kugeln ein Würfel balanciert, der an das islamische Heiligtum Kaaba gemahnt. Anhand von auf den Boden projizierten Bildern soll ein Bogen von den Reisen Marco Polos hin zur Pilgerreise Haddsch geschlagen werden. Zwar darf kein Nicht-Muslim Mekka betreten, aber die Künstlerinnen sehen den Wallfahrtsort an kosmopolitischer Bedeutung mit Venedig vergleichbar.

Nicht zuletzt durch die Kunstmesse Art Dubai und die Biennale im Emirat Sharjah kommt Kunst aus dem nahen und mittleren Osten immer mehr Aufmerksamkeit zu. Als "The Art World's New Darlings" nannte die New York Times Künstler aus der Region. Aber während Abu Dhabi das Megaprojekt eines Museumskomplexes mit Guggenheim und Louvre hochzieht, bleibt die Frage offen, ob es sich bei diesem Engagement um reine Tourismusinvestitionen handelt oder um ein Signal für mehr Demokratie.

Im Gemeinschaftspavillon der Vereinigten Arabischen Emirate sticht die Künstlerin Reem al Gaith hervor, die die landschaftlichen Auswirkungen des Baubooms in Dubai recherchiert hat. In der Installation What's Left of My Land spielt sie gekonnt mit Größenverhältnissen, mischt kleine Sandberge mit Baugerät en miniature. Hinter Absperrungen und Bauschutt sind menschliche Figuren nur als schwarze Schatten zu finden; an ihnen scheint alle Planung vorbeizugehen. Und so wie in Dubai die Kräne nie stillstehen, wird auch die Künstlerin während der Biennale an ihrem Work in Progress weiterarbeiten.

Bahrain und auch der Libanon beteiligen sich 2011 nicht in Venedig und auch der ägyptische Pavillon drohte leer zu bleiben. Mit viel Engagement konnten die Kuratoren Shady El Noshokaty und Aida Eltorie aber doch einen der brisantesten Länderbeiträge durchsetzen. Sie zeigen Aufnahmen von den Demonstrationen am Tahrir-Platz in Kairo gemeinsam mit einem Video des Künstlers Ahmed Basiony, der dort letzten Jänner erschossen worden ist. Die gezeigte Performance "30 Days of Running in the Space" von 2010, in der der Künstler am Stand lief, wirkt wie ein Symbol für politischen Stillstand. Vor den Scharfschützen des Regimes rannte der Künstler nicht davon.

Einen Tiefpunkt der Biennale liefert der Pavillon des Iran. Die dortige Staatskunst wird von Morteza Darehbaghis Fotoinstallation gekrönt, die in Leuchtkästen tausende Schwarz-Weiß-Porträts zeigt. Es handelt sich um Gefallene im Iran-Irak-Krieg, die als "Märtyrer" bezeichnet werden. Der Mullah-Staat führt den Länderpavillon als Propagandaveranstaltung ad absurdum. (Nicole Scheyerer aus Venedig/DER STANDARD, Printausgabe, 22./23. 6. 2011)