Das Foto des küssenden Pärchens (hier auf der Website der New York Times) ging um die Welt.

Foto: Riegler

Anonymität ist ein vom Aussterben bedrohtes Konzept im Web, in dem sich immer mehr Nutzer sozialen Netzwerken anschließen. Handys mit Kameras und Internetverbindung haben dazu beigetragen, dass die persönlichsten Momente in Sekunden der gesamten Internetnutzerschaft zugänglich gemacht werden können. Gleichzeitig macht es der hohe Vernetzungsgrad der Menschen schon fast unmöglich, auf öffentlichen Fotos unerkannt zu bleiben. So kam ein Pärchen aus Vancouver zu ihren 15 Minuten Ruhm, das in der Öffentlichkeit beim Küssen fotografiert wurde.

Nach einem Tag identifiziert

Um sich die Aufmerksamkeit der Medien und Web-Nutzer zu sichern, ist freilich mehr als Knutschen auf offener Straße nötig. Auf den Fotos von Tumulten in Vancouver nach einem Eishockey-Spiel hatte Fotograf Rich Lam die überraschende Entdeckung eines auf dem Boden liegenden und küssenden Pärchens inmitten einer Schar von Polizisten gemacht. Nach Veröffentlichung der Fotos habe es nur einen Tag gedauert, bis Internet-User Medien die Identität des Paars zugesteckt hatten, berichtet die New York Times. Scott Jones und Alex Thomas schafften es sogar in die "Today Show".

Abschaffung von Privatsphäre

Von langer Dauer ist ein so erlangter "Ruhm" zwar nicht, doch zeigt es einen Trend, über den sich Facebook-CEO Mark Zuckerberg wohl am meisten freuen dürfte: die allmähliche Abschaffung von Privatsphäre. So ist es nicht nur möglich, dass Fotos oder Videos von privaten Momenten (seien diese nun peinlich, heldenhaft oder auf andere Weise außergewöhnlich) ungewollt und ohne Kenntnis der Personen im Web landen. Die Chancen sind auch noch sehr groß, dass die abgebildeten Personen erkannt und so eventuell in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden. So verbreitete sich auch rasch ein Video im Netz, das den Wutausbruch einer Frau zeigt, die in New York offenbar beim Schwarzfahren erwischt wurde.

Blickwinkel

Ein Problem bei solchen Foto- und Videodokumenten ist allerdings, dass die Identität der Abgebildeten zwar schnell festgestellt werden kann, die Umstände der Aufnahmen bleiben manchmal jedoch ungenannt. So könnte man allein von dem Foto nach zu urteilen, das Pärchen als freizügig und leichtsinnig abstempeln. In der Today Show erklären sie, wie es tatsächlich dazu kam. Alex Thomas sei niedergeschlagen worden und ihr Freund habe sie nur beruhigen wollen und sich zu ihr auf die Straße gelegt. Doch nicht in allen Fällen haben Personen die Chance, sich zu erklären.

Anschluss an andere sei für Menschen extrem wichtig. Durch die Unternehmen, die das ermöglichen, sei man heute öffentlicher als je zuvor, meint Susan Crawford von der Benjamin N. Cardozo School of Law gegenüber der NYT. Das habe Auswirkungen auf viele Bereiche, vom Handel bis zur Politik. So wird es bei Demonstrationen oder Aufständen beispielsweise auch für die Polizei leichter, einzelne Personen zu identifizieren. Umgekehrt können auch Opfer und Täter von gewaltsamen Übergriffen leichter ausfindig gemacht werden. Publicity sei durch Kamera-Handys, Smartphones mit Internetanschluss und sozialen Netzwerken jedenfalls kein Privileg aber auch keine Bürde mehr von berühmten Persönlichkeiten alleine. (br)