Im Wettkampf mit der digitalen Universalbibliothek namens Web entdecken öffentliche Bibliotheken das iPad als neuen Lesesaal und Ausstellungsraum. Jüngstes Beispiel: die historische Sammlung des 19. Jahrhunderts der British Library. Vorerst können damit 1000 "Original"-Bücher studiert werden: gescannte Werke in Originaltypografie, mit Illustrationen und Ausfaltkarten sowie der Patina und den Benutzungsspuren der Werke.

Frankenstein und Oliver Twist

Die jetzige Sammlung, die unter anderem aus alter Reiseliteratur und illustrierten Romanen besteht, um den Design-Zugang der British Library zu demonstrieren, ist gratis. Bis zum Sommer soll die Sammlung auf 60.000 Bände anwachsen, darunter frühe Ausgaben von Frankenstein und Oliver Twist, für die eine noch nicht festgelegte Gebühr eingehoben wird.

Die Sammlung des 19. Jahrhunderts ist bereits die zweite App der Briten. Davor veröffentlichte die British Library "Treasures" (sechs Dollar), eine Sammlung ihrer Schätze von religiösen Manuskripten, der Magna Carta bis zu Handschriften berühmter Autorinnen und Autoren, alten wissenschaftlichen Werken und Musikmanuskripten von Händel bis Mozart. Auch Fotos, Audio- und Videodateien sind Teil des Angebots.

"Biblion"

Die New Yorker Public Library interpretiert das iPad derzeit eher als Bühne für kuratierte Ausstellungen denn als Lesesaal. "Biblion" (gratis) präsentiert einen Blick in die Zukunft - aus der Perspektive der New Yorker Weltausstellung 1939-40. In sehr ansprechender Art werden Bilder, Filme, Musik und Texte präsentiert und in vielfältiger Form zugänglich gemacht - mit innovativen Navigationskonzepten, die die technischen Möglichkeiten des iPad ausloten und wohl auch andere Medienmacher inspirieren werden.

Die Österreichische Nationalbibliothek will das iPad ebenfalls für ihre Sammlungen nutzen, erklärte ÖNB-Chefin Johanna Rachinger im Gespräch mit dem STANDARD. Derzeit seien rund 1000 von 15.000 digitalisierten Bücher online als E-Books zugänglich. Ab 2012 soll es dafür auch eine eigene App geben. Mit Abschluss des Google-Projekts in einigen Jahren sollen alle 600.000 Bände der historischen Sammlung verfügbar sein, sagt Rachinger. (Helmut Spudich, DER STANDARD Printausgabe 21. Juni 2010)