Wien - Am Tag zuvor hatten sie noch miteinander gemailt - dann war plötzlich Funkstille.
Der Verdacht von S., Professor an der Technischen Universität Wien, bestätigte sich:Soheil Qanbari, einer seiner Studenten im Iran, wurde zusammen mit 15 anderen am Sonntag, den 22. Mai, zu Hause abgeholt und in das berüchtigte Evin-Gefängnis gebracht. So erfuhr es S., der aus Sicherheitsgründen anonym bleibt, von Qanbaris Frau.
Das Vergehen seines Studenten und der anderen 15 Verschleppten, zumindest inoffiziell:Sie alle sind Angehörige der Bahá'í-Religion und Lehrende am Bahá'í Institute for Higher Education (BIHE). Nach iranischem Recht ist es Angehörigen der religiösen Minderheit seit 1981 verboten, eine Universität zu besuchen. Um die fatalen Auswirkungen einer solchen Beschränkung zu mildern, gründeten einige Professoren 1987 BIHE und unterrichteten die jungen, von den Unis Verbannten in ihren Wohnungen, später auch über das Internet.
Bei der Razzia am besagten Sonntag griffen die Polizisten ausschließlich auf Wohnungen von Mitarbeitern der Institution zu, insgesamt 30. Qanbari ist wissenschaftlicher Assistent von S. und hatte bereits eine Zusage für ein Doktoratsstudium in Österreich in der Tasche. Am 14. Juni kam er zusammen mit einer anderen BIHE-Kollegin gegen Kaution frei. Nun müssen beide auf ihre Anklage warten.
Der offizielle Vorwurf? Wahrscheinlich Spionage. Für die Amerikaner, die Israelis, die Russen - egal. "Die iranischen Behörden sind sehr kreativ", weiß S., der selbst persische Wurzeln hat.
Bisher wurde die Institution vom Regime zwar argwöhnisch, aber immerhin geduldet. Mehr als 60 Universitäten auf der ganzen Welt akzeptieren die Abschlüsse der Absolventen. Jahr für Jahr bewerben sich rund 1000 junge Iraner für die 17 Studiengänge. Die Hoffnung, zumindest mit einer Ausbildung eine Chance auf einen Job im Iran zu haben, ist groß. Aber nicht nur den Lehrern, auch Unternehmen, die Mitglieder der Bahá'í-Gemeinde anstellen, drohen scharfe Sanktionen.
S., geborener Österreicher, ist selbst Bahá'í und unterrichtet seit fünf Jahren Studenten des BIHE im Iran - via Skype und Telefonkonferenzen, an Feierabenden und Wochenenden.
Über Politisches oder Privates wird in den Online-Vorlesungen niemals gesprochen. Zu gefährlich. Auch sonst hat der semi-geheime Unterricht seine Tücken: Weil die Internetverbindung im Iran oftmals unterbrochen wird, zeichnet der Informatik-Professor alle wöchentlichen Einheiten auf und stellt sie seinen Studenten zur Verfügung. Viele Fachbücher sind im Iran schlichtweg nicht erhältlich, weil verboten.
Er fühle sich als Wissenschafter zu diesem ehrenamtlichen Engagement verpflichtet, erklärt S. "Und", fügt er lächelnd hinzu, "es ist etwas Sinnvolles." Der Bildungshunger, den er von seinen Studenten kennt, die nicht studieren dürfen, berühre ihn. Es sei ein extremer Gegensatz zu den Wiener Studenten, für die Bildung etwas Selbstverständliches ist. "So soll es ja auch sein: Jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung."
Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) verurteilte die jüngste Verhaftung der Bahá'í-Gläubigen. Die Verschärfung der Repressionen sei äußerst besorgniserregend. Für S. ist es wichtig, dass Politiker die Verfolgung öffentlich verurteilen: "Man meint immer, das hätte keinen Einfluss. Aber die erfolgte Freilassung zeigt, wie bedeutsam es ist, dass sich die internationale Gemeinschaft zu Wort meldet."
Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) erkennt Bahá'í aus dem Iran als Flüchtlinge an, viele kommen nach Wien. Derzeit warten hier etwa 40 bis 50 auf ihre Weiterreise. "Seit der iranischen Revolution 1979 hat die Verfolgung richtiggehend System bekommen", erklärt Alex Käfer, Sprecher des Geistigen Rates in Österreich.
In Österreich ist die Bahá'í-Gemeinde gut verwurzelt, im Herbst feiert sie ihr 100-jähriges Bestehen im Lande. 1911 kam die erste Familie nach Wien, denn schon damals lebte man als Bahá'í im Iran gefährlich. Heute verteilen sich etwa 1300 Gläubige über 160 Städte und Gemeinden, von Vorarlberg bis zum Burgenland. (Julia Herrnböck/DER STANDARD, Printausgabe, 21.6.2011)