"Zwei Engel" (1986) von August Walla.

Foto: Privatstiftung Künstler aus Gugging

Das bunt bemalte Haus der Künstler und seine Bewohner.

Foto: Museum Gugging

Gugging - Es war nicht erst die Moderne, die die Kunst an die Ufer des Unbewussten, des Unperfekten, des Randständigen geführt hat. Dorthin also, wo seit Jahrzehnten die Gugginger Künstler überhaupt erst ansetzen. Und weiter und weiter führen in unbekannte Territorien. Wo sich der Sinn an den Rändern auflöst, schrieb die NZZ vor neun Jahren über den Gugginger Dichter Ernst Herbeck und seine schreibenden und malenden Kollegen, dort nähern sich die sanften Abwegigkeiten seiner schizophrenen Erkrankung den Gesetzen der Poesie.

Eigentlich hatte Leo Navratil, Psychiater an der Männerabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Gugging, in den 1950er-Jahren seine Patienten aus reinen Forschungs- und Diagnosezwecken zeichnen lassen. Um alsbald festzustellen, dass diese Werke von ganz besonderer, eigenartiger Qualität waren.

Künstler und Schriftsteller wie Arnulf Rainer und Erwin Ringel, André Heller, Gerhard Roth und Ernst Jandl besuchten und unterstützten Navratil und seine Schützlinge. Als Navratil 1986 in Pension ging, übernahm dessen Assistent Ernst Feilacher die Leitung und benannte den Psychiatriepavillon in "Haus der Künstler" um; Medizin und Kunst wurden entkoppelt, Krankengeschichten nachrangig. Das künstlerische Schaffen rückte in den Vordergrund.

Mit Erfolg: Im Jahr 1990 wurden die Künstler aus Gugging mit dem Oskar-Kokoschka-Preis ausgezeichnet. Sie stehen damit in einer Reihe mit Künstlerstars wie Gerhard Richter, Mario Merz, Maria Lassnig, Valie Export, Jannis Kounellis und William Kentridge.

Mittlerweile ist das Art Brut Center Gugging ein kleines Kunst- und Künstlerdorf am Rande des Wienerwalds, bestehend aus dem Museum, in dem noch bis Ende September eine Großausstellung des Franzosen Gaston Chaissac (1910-1964) zu sehen ist; aus einem kleinen, Villa genannten Häuschen für Sonderveranstaltungen; aus dem Atelier, das allen künstlerisch interessierten Menschen offensteht; einem Shop und eben aus dem Haus der Künstler. Nach zweijähriger Umbauarbeit wird es heute, Dienstag, wiedereröffnet. Die Kosten von 2,3 Millionen Euro wurden zur Gänze vom Land Niederösterreich übernommen. In Österreich, so die Galerie-Geschäftsführerin Nina Katschnig, erfahre die Kunst der Gugginger - anders als im Ausland, wo die Werke seit vielen Jahren sehr begehrt sind - noch nicht die Wertschätzung, die sie verdienen würde. Immerhin werden zwar jetzt schon 12.000 Besucher jährlich verzeichnet. Durch das Jubiläum erhofft man sich einen kräftigen Publikumszuwachs.

Gemalter Kosmos

Betreutes Wohnen nennt sich die Lebensform der 14 Maler, Bildhauer und Dichter im generalsanierten, lichtdurchfluteten und bunt bemalten Haus der Künstler; erstmals wohnt und arbeitet hier auch eine Frau.

Normalerweise ist dieses Haus - anders als Museum, Galerie und Atelier - nicht öffentlich zugänglich. Nur anlässlich der heutigen Wiedereröffnung sowie bei monatlichen Spezialführungen öffnet es seine Pforten. Besonders sehenswert: das August-Walla-Zimmer, ein eigener Kosmos aus Kürzeln, Symbolen, Mustern, Göttern. Aufgewachsen im nahen Klosterneuburg, lebte Walla, der am 22. Juni 75 Jahre alt geworden wäre, ab 1983 bis zu seinem Tod im Jahr 2001 in Gugging, übersäte sein Zimmer über und über mit Begriffen, Zeichen und Figuren - so, wie er seine gesamte Umgebung vereinnahmte und auf Tapeten, Gerümpel, sogar Autos, Bäume und Straßen malte. Er schrieb, installierte, sammelte, fotografierte - und ließ sich fotografieren.

Er verarbeitete seine Erinnerungen an die NS-Zeit, die russische Besatzung und den Kalten Krieg, malte Hakenkreuze neben Hammer und Sichel, Jesus am Kreuz neben den Teufel. August Walla prägte übrigens auch den Gugging-Schriftzug und dessen Markenzeichen: die durchgestrichenen Buchstaben.

Auch an den gebürtigen slowakischen Künstler und bekennenden Frauenliebhaber Johann Hauser (1926-1994) erinnert ein eigenes Zimmer: Zu sehen sind seine typischen Frauenbilder mit überdimensionierten Geschlechtsteilen und schwarzen Haarmähnen. Prominent präsentiert werden auch die Arbeiten derzeit dort lebender Künstler wie Heinrich Reisenbauer, Fritz Koller und Karl Vondal. (Florian Bayer, Andrea Schurian, DER STANDARD/Printausgabe 21. Juni 2011)