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Am 19. Februar protestierten in Dresden rund 20.000 Personen gegen einen Neonaziaufmarsch. Wie sich nun herausstellt, überwachte die Polizei dabei all ihre Mobiltelefonkommunikation.

Foto: Jens Schlueter / dapd / APA

Mit der steten technologischen Weiterentwicklung werden den KonsumentInnen nicht nur immer neue Möglichkeiten zur Kommunikation an die Hand gegeben, es stellen sich auch durchaus laufend neue - nicht zuletzt gesellschaftspolitische - Problemfelder. Eines davon ist fraglos die zunehmende Erosion der Privatsphäre, oft von den NutzerInnen - mehr oder minder bewusst - selbst auf Facebook und Co. vorgenommen, zugleich steigen mit den neuen Möglichkeiten auch die Begehrlichkeiten staatlicher Behörden zu Überwachungsmaßnahmen in bislang ungeahnte Höhen. Dies demonstriert nun ein aktuelles Beispiel aus Deutschland äußerst eindrücklich.

Breitband-Abhöraktion

So berichtet die Berliner Tageszeitung (taz) davon, dass die deutsche Polizei bei den Protesten gegen einen Neonazi-Aufmarsch am 19. Februar in Dresden über zumindest viereinhalb Stunden sämtliche Mobilfunkkommunikation in der Umgebung ausspioniert hat. In dem betreffenden Zeitraum seien sowohl Standort- als auch Verbindungsdaten von tausenden Personen aufgezeichnet worden, auch SMS wurden quasi "Breitband" festgehalten. Betroffen sind von dieser "Funkzellenauswertung" (FZA) genannten Maßnahme neben den DemonstrantInnen natürlich auch die 12.000 AnwohnerInnen in dem betroffenen Gebiet, anwesende JournalistInnen und PolitikerInnen.

Detailliert

Wie diese Form der Überwachung dann konkret eingesetzt wird, zeigt sich etwa an dem Beispiel von Christian Leye, Mitarbeiter des Bochumer Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen von der Linkspartei. Dieser wurde bei einer Blockadeaktion von der Polizei aufgeschrieben, in der folgenden Ermittlungsakte finden sich exakte Einträge wann er wo mit welcher Person telefoniert habe. Auf diese Weise sei ein vollständiges Bewegungsprofil erstellt worden, fasst Leye zusammen.

Kritik

Das organisierende Bündnis "Dresden Nazifrei" kritisiert die Maßnahme scharf: "Tausende Menschen werden da in ihren Grundrechten eingeschränkt, um einen vermeintlichen Landfriedensbruch zu ermitteln. Das kommt einer Rasterfahndung per Handy gleich", so Kristin Pietrzyk, eine der AnwältInnen des Bündnisses. Diese sieht in der Maßnahme auch in ihrem konkreten Fall einen klaren Rechtsbruch, sei durch die Abhörmaßnahme doch das rechtlich besonders geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant verletzt worden. Ähnlich die Lage beim Grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele, dessen Daten als Mandatsträger ebenfalls einem zusätzlichen Schutz unterstehen - und doch tauchen auch von ihm in den Akten Standort- und Verbindungsinformationen auf.

Abfrage

Doch auch jenseits solch besonders prekärer Einzelbeispiele, gehen die Betroffenen von einem klaren Rechtsbruch durch die Behörden aus.: "Die Funkzellenabfrage trifft friedliche Demonstranten und Anwohner. Nach der einschlägigen Rechtsprechung dürfte sie rechtswidrig gewesen sein", so Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Die deutsche Gesetzeslage sieht eine solche Funkzellenabfrage nur für absolute Ausnahmesituationen vor, etwa wenn "die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre". Ein solcher Notstand ist angesichts dessen, dass mehrere tausend PolizistInnen im Einsatz waren, die das Geschehen auch minutiös mitgefilmt haben aber nur schwerlich zu argumentieren sein, so die KritikerInnen.

Staatsanwaltschaft

Die zuständige Staatsanwaltschaft gibt sich mit Details zum Umfang der FZA derzeit noch äußerst bedeckt, bestätigt aber, dass in "mehreren Fällen" die erhobenen Daten auch in Ermittlungsakten eingeflossen sind, die nichts mit dem ursprünglich als Grund für die Überwachung genannten Vorwurfs des Landfriedensbruchs zu tun haben. Zumindest dieses Vorgehen habe die Staatsanwaltschaft aber mittlerweile der Polizei untersagt, heißt es von Seiten der Behörde.

Anfrage

Mehrere der Betroffenen überlegen mittlerweile gegen die Maßnahme zu klagen. Zudem wollen die Grünen im sächsischen Landtag die Maßnahme parlamentarisch prüfen lassen. Der zuständige Datenschutzbeauftragte hat außerdem aufgrund der Informationen der taz mittlerweile Anfragen an Staatsanwaltschaft, Polizei, Landeskriminalamt und Innenministerium gestellt. (apo, derStandard.at, 20.06.11)