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Anhänger der Monarchie feiern die Ankündigung der neuen Verfassung in Marokko, die für viele dennoch nicht weit genug geht. 

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Weiter oberste Autorität: Mohammed VI.

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Unter dem Eindruck der Revolutionen in Tunesien und Ägypten gingen Hunderttausende Marokkaner auf die Straße und erreichten damit ein neues Grundgesetz. Die Demokratiebewegung ist mit dem Ergebnis unzufrieden.

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Rabat/Madrid - Mohammed VI. gesteht seinen Untertanen eine neue Verfassung zu. Der marokkanische Monarch stellte am Freitagabend den Text höchstpersönlich in einer Fernseh- und Radioansprache vor. Das Projekt "wird die Säulen einer konstitutionellen, demokratischen und sozialen Monarchie stärken" , verkündete der 47-Jährige. Das Volk soll sie am 1. Juli per Referendum absegnen.

Mohammed VI. hatte die Reform Anfang März angekündigt, nachdem am 20. Februar Zehntausende junge Marokkaner im ganzen Land unter dem Eindruck der Revolutionen in Tunesien und Ägypten für mehr Demokratie und gegen Korruption auf die Straße gegangen waren.

Der Monarch hatte die neue Verfassung bei einem von ihm selbst ernannten "Rat der Weisen" in Auftrag gegeben. Dieser hörte Parteien und Gewerkschaften an, bevor das Projekt endgültig Form annahm. Die Demokratiebewegung 20. Februar weigerte sich, an der Anhörung teilzunehmen.

Der neue Text schreibt die Gleichheit der Geschlechter fest und erhebt die Berbersprache zur offiziellen Sprache neben dem Arabischen. Der König, der bisher "heilig" war, ist künftig nur noch "unantastbar" . Allerdings wird er weiterhin nicht nur Staatschef, sondern auch "Führer aller Gläubigen" - und damit oberste religiöse Autorität - sein.

Die neue Verfassung stärkt die Rolle des Premierministers, der künftig Regierungschef heißt. Er muss aus der stärksten Parlamentsfraktion stammen und wird alle Minister auswählen, der König wird sie dann ernennen. Bisher hatte der König das Recht, die Ministerien allein zu besetzen.

Allerdings wird der König weiterhin die volle Gewalt über die Regierungsgeschäfte haben. Denn er ist der Vorsitzende der wöchentlichen Kabinettssitzungen. Außerdem bestimmt er weiterhin die Außenpolitik, bleibt Chef der Armee und steht dem neu zu gründenden Sicherheitsrat vor. Das Gleiche gilt für den Hohen Richterrat, der bisher dem Justizminister unterstand. Diese Reform sei, so Mohammed VI., ein Schritt in Richtung eines unabhängigen Gerichtswesens. Der König kann auch weiterhin allein den Notstand ausrufen.

"Erstmals in der Geschichte unseres Landes haben wir eine Verfassung, die von allen Marokkanern gemacht wurde" , lobte Mohammed VI. die Kommission.

Die Kritik ließ nicht lang auf sich warten. Als "reine Kosmetik" wertet der Gründer des Magazins Tel Quel, Ahmed Benchemsi, die Reformen. Für ihn bleibe in Wirklichkeit alles beim Alten.

Auch die Demokratiebewegung 20. Februar zeigt sich wenig begeistert. Auf Facebook und in Blogs ruft sie zum Boykott des "lächerlichen" Referendums auf.

Während überall im Lande die Anhänger der Monarchie nach der Ansprache Freudenfeste veranstalteten, gingen in Fès mehrere hundert Studenten auf die Straße, um ihrer Enttäuschung über die spärlichen Reformen zum Ausdruck zu bringen.

Am Sonntag protestierte einmal mehr die Demokratiebewegung. Die Menschen verlangten wie bisher auf ihren allwöchentlichen Demonstrationen, die in mehr als 100 Städten stattfinden, die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung. "Es gibt immer mehr unter uns, die für eine Republik Marokko eintreten", erklärte einer der Mitbegründer des 20. Februar aus Casablanca. (Reiner Wandler /DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2011)