Als die Wiener SPÖ noch allein an der Macht war, konnte man sich gar nicht vorstellen, dass es eine langweiligere Regierungsform als eine rote Absolute geben kann. Doch es gibt sie: eine rot-grüne Koalition. Denn bevor die Grünen zum Juniorpartner aufstiegen, holte wenigstens hin und wieder ein kleinerer oder größerer Skandal - wie um Psychiatrie oder Pratervorplatz - die Genossen aus ihrem Dämmerschlaf. Doch seit Bürgermeister Michael Häupl Maria Vassilakou zu seiner Vize gemacht hat, sind die Grünen hauptsächlich damit beschäftigt, nur ja keinen Rathaus-Roten zu verärgern.

Natürlich ist es als Regierungspartei nicht mehr Aufgabe der Grünen, Fehler der SP aufzuzeigen - dafür gibt es eine Opposition. Doch zumindest im eigenen Zuständigkeitsbereich sollten sie beweisen, dass sie ein paar ihrer Wahlversprechen ernst nehmen. Denn vor Rot-Grün präsentierten sie praktisch wöchentlich ihre zum Teil sehr konkreten Ideen im Planungs- und Verkehrsbereich. Doch seit man selbst zuständig ist, schweigt sich sowohl die Vizebürgermeisterin als auch der Rest der Truppe aus. Von den 30 Radwegprojekten, die sich die Grünen vorgenommen hatten, wurde bisher kein einziges präsentiert.

Und man hatte nicht einmal den Mut, öffentlich zuzugeben, dass man sich mit der SP vor dem Sommer doch nicht auf eine Öffi-Ticket-Reform einigen kann. Das durfte der Bürgermeister via Boulevardmedien tun, und die Grünen bestätigten es tags darauf brav. Was ist schon dabei, von Zeit zu Zeit darauf hinzuweisen, dass die eigenen Konzepte am Widerstand des Koalitionspartners scheitern oder adaptiert werden müssen? Gerade wenn es sich, wie bei der Reform, um ein grünes Kernthema handelt, mit dem man - wenn man es geschickt anstellt - beim Wahlvolk punkten könnte? Michael Häupl, der derzeit in der eigenen Partei nicht besonders gut dasteht, wird sich hüten, wegen kleinerer innerkoalitionärer Irritationen die Zusammenarbeit aufzukündigen.

Stattdessen versucht Vassilakou offenbar, die bessere Rote zu sein. Erklärt, sie wolle einen Knigge für Radfahrer herausbringen und schließe Nummerntafeln für Fahrräder nicht grundsätzlich aus. Weiter kann man an der eigenen Klientel nicht vorbeiargumentieren.

Die Performance der grünen Landestruppe enttäuscht auch die Bundespartei. Gerade von den aufmüpfigen Wienern, mit denen man es intern nicht immer leicht hatte, erwartete man sich ein wesentlich schärferes Profil als Regierungspartei - das auch Richtung Bund ausstrahlen sollte. Stattdessen kommt vom Rathaus bestenfalls Schweigen, schlimmstenfalls ein Vorschlag, bei dem sich ein Gutteil der Mandatare ans Hirn greift.

Wobei: Am aktuellen internen Aufstand gegen die neue grüne Verbotspolitik ist auch die Bundesparteichefin schuld. Denn der Vorschlag, Zigarettenautomaten zu verbieten, stammt nicht von einem geschmähten Basiswappler aus der letzten Reihe, sondern von Eva Glawischnig selbst. Der Rest der Welt diskutierte derweil über Atomausstieg und Griechenland-Pleite.

Sowohl die Bundes- als auch die Landespartei sollten sich auf ihre Kernthemen besinnen und konkrete Vorschläge liefern. Dann interessieren sich auch wieder mehr Leute dafür, was die Kleinpartei zu sagen hat. Und bei Versammlungen für Mitglieder - so wie jener am Sonntag in Wien - bleibt dann vielleicht auch nicht mehr fast die Hälfte der Sitze leer. (Martina Stemmer, STANDARD-Printausgabe, 20.6.2011)