Graphik: STANDARD

Bild nicht mehr verfügbar.

Uigurische Frauen halten einen Polizisten fest: Ein Bild der Proteste vom Juli 2009, heute ist es in Urumqi vergleichsweise ruhig.

Foto: AP/Guan

Zhu Jianhua, Chefredakteur einer Partei-Website: Exil-Uiguren hinter Unruhen.

Foto: Standard/Prantner

Mohammed, der Wirt aus Urumqi, will in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit schauen.

Foto: Standard/Prantner

Pekings neue Strategie der Herrschaft scheint inzwischen aufzugehen.

*****

Rosinen, Datteln, goldene Dolche. Im Bazar unter der Kuppel der großen Moschee schreien die Verkäufer ihre Ware unters Volk. Über zischenden Rosten steigt der Duft gegrillten Hammels auf. Dazu Gesichter. Tausende Gesichter, die von Jahrhunderten der Völkerverschmelzung an der Seidenstraße erzählen. Es sind Uiguren mit ihren Kappen, Han-Chinesen, bärtige Hui, Mongolen, Russen - und viele, die ein Erbe aller in sich tragen.

Urumqi. Provinz Xinjiang. Äußerster Westen Chinas. In dieser Ecke stoßen alle Kulturen, Religionen und Konflikte Zentralasiens aufeinander. Und hier wird wie kaum anderswo klar, dass China ein Vielvölkerstaat ist, den die Zentralregierung im 2500 Kilometer entfernten Peking mitunter mit Brutalität zusammenhalten muss.

Vor ziemlich genau zwei Jahren kam es in Urumqi zu blutigen Ausschreitungen zwischen Uiguren und Han, der chinesischen Mehrheitsbevölkerung. Offiziell kamen dabei knapp 200 Menschen ums Leben. 1600 wurden verletzt. In der Straße des Friedens und in der Straße der Solidarität attackierten Uiguren die Han, warfen Passanten von jener Überkopfstraße in die Tiefe, die den uigurischen Teil der Stadt vom chinesischen trennt. Danach übten die Han brutal Vergeltung.

Auslöser war der Tod zweier uigurischer Wanderarbeiter in einer südchinesischen Spielzeugfabrik. Exil-Uiguren riefen zu Demonstrationen auf, dann eskalierte die Situation. Peking schlug die Proteste mit aller Härte nieder, hunderte verschwanden in Lagern, es gab Todesurteile. Das Militär besetzte Urumqi, der überforderte Parteisekretär der Provinz, ein Hardliner, wurde durch einen pragmatischen neuen ersetzt.

Bis zu 80.000 solcher Vorfälle sollen sich jährlich in China zutragen. Vor wenigen Wochen gab es eine ähnliche Eskalation in der inneren Mongolei, und auch Tibet ist derzeit wieder einmal für Ausländer gesperrt - die chinesische Führung will sich die Feierlichkeiten zum 90. Gründungstag der kommunistischen Partei am 1. Juli nicht durch Bilder protestierender Tibeter trüben lassen.

Urumqi aber ist dieser Tage ruhig. Militär ist keines zu sehen, Polizei spärlich. Nur die etwa 40.000 Kameras, die die Stadt lückenlos überwachen, fallen auf. Die Hauptstadt Xinjiangs ist der Ort, in dem die neue chinesische Strategie der Herrschaft vorerst aufzugehen scheint: Jeder Keim eines Aufruhrs wird in Massen von Geld erstickt. Noch bevor alle Welt vom arabischen Frühling sprach, fing Peking mit der gnadenlosen Subventionspolitik an. Zuerst in Tibet, dann auch in der autonomen Provinz Xinjiang.

Mohammed, der Wirt im Gasthaus "Zur kleinen Shan" an der Friedensstraße, wischt das Fett und die Hammelknochen von der Tischplatte. Seine Spelunke hat schon bessere Tage gesehen, mangelnde Dekoration aber macht Mohammed mit Freundlichkeit wett. Mit Ausländern rede er gerne, sagt er. Davon kämen so wenige zu ihm. Textilarbeiter sei er gewesen, erzählt der 34-Jährige. 1000 Yuan (100 Euro) habe er damals verdient im Monat. Heute komme er auf ein Vielfaches, obwohl er 30.000 Yuan Miete für sein Etablissement im Jahr zahlen muss.

Bier und Fleisch von Han


Gibt es immer noch Spannungen wie 2009? "Nein" , sagt Mohammed und holt den mit Taubenblut versetzten Wein, angeblich eine Spezialität der Region, von der Budel. "Ich kaufe mein Bier von Chinesen und das Fleisch auch. Nicht nach hinten schauen, nach vorne sehen ist viel besser." Er wolle, dass es seine drei Kinder besser treffen als er. In Pakistan oder Libyen, da herrsche Chaos. Hier habe man Stabilität. Nur gerecht, gerecht müsse es zugehen. Er wolle kein Mensch zweiter Klasse sein: "Es reicht, wenn das Glas gleich voll ist für Uiguren und Chinesen."

Die Einschätzung des Wirtes Mohammed deckt sich mit einer Studie, die eine Gruppe unabhängiger chinesischer Wissenschafter des inzwischen von der Regierung in Peking geschlossenen "Gongmeng Law Research Center" nach den Ausschreitungen in Tibet im März 2008 erstellt hat. Deren zentraler Punkt ist der Begriff der "Marginalisierung" . Mitglieder ethnischer Minderheiten hätten in China immer wieder das Gefühl, von Fortkommen und Wohlstand ausgeschlossen zu sein - vor allem in urbanen Zentren der Provinzen, wo sie inzwischen die Minderheit stellen. In Urumqi etwa leben noch 13 Prozent Uiguren und 75 Prozent Han.

Dass dieses Empfinden der Benachteiligung Grund für die Unruhen von 2009 gewesen sein könnte, schließt Zhu Jianhua, der Chefredakteur von Tianshannet.com, aus. Die Website wird vom Sekretariat der kommunistischen Partei betrieben und gibt deren Sicht der Dinge auf chinesisch, uigurisch, kasachisch, russisch und englisch wieder. Dahinter seien Exil-Uiguren gestanden, sagt Zhu bestimmt, Separatisten, die die Region von China lösen und zu "Ost-Turkestan" machen wollten. Ob er denn überhaupt über diese Exil-Uiguren berichtet darf? Herr Zhu lächelt und antwortet nicht.

Aber sein Gesichtsausdruck ist Antwort genug. Wohlstand gegen Freiheit, das ist der Preis des Aufschwungs im modernen China - und insbesondere in den Gebieten, in denen die insgesamt mehr als 50 ethischen Minderheiten der Volksrepublik leben. Und so wird es auch bleiben, wenn beim Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas im Herbst das Führungspersonal für die kommenden zehn Jahre chinesischen Aufstiegs engültig bestimmt wird. (Christoph Prantner aus Urumqi/DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2011)