Der neunzehnjährige Sascha Petrović (li. Saša Kekez) ist Sohn einer aus Montenegro stammenden Familie, schwul und in seinen Klavierlehrer Gebhard Weber (Tim Bergmann) verliebt.

Foto: "Sascha"

"'Sascha' wurde zur persönlichen Liebeserklärung an meinen eigenen - Achtung Modewort - Migrationshintergrund , aber auch zu einer entschiedenen Stellungnahme", sagt Dennis Todorović.

Foto: Meri Disoski

Der neunzehnjährige Sascha Petrović ist Sohn einer aus Montenegro stammenden Familie, schwul und in seinen Klavierlehrer Gebhard Weber verliebt. Wie(so) Sascha sein Schwul-Sein lange Zeit geheim hält und wie seine Familie auf sein Coming-Out reagiert, zeigt Regisseur Dennis Todorović in seinem Kinodebüt "Sascha". Der Film hatte im Rahmen des queeren Filmfestivals identities vergangene Woche in Anwesenheit von Dennis Torodović Österreichpremiere.

daStandard.at: Herr Todorović, die beiden großen im Film verhandelten Themen können unter dem Schlagwort "Identität" zusammengefasst werden. Es geht um die kulturelle, aber auch um die sexuelle Identität. Dass sich ein Film mit Schwulsein im migrantischen Milieu auseinandersetzt, kommt nicht so oft vor.

Dennis Todorović: Ja, wenn ich darüber nachdenke ... wahrscheinlich nicht. Fatih Akin berührt das Thema in manchen seiner Filme.

daStandard.at: Aber bei Ihnen ist es zentral gesetzt und erhält seine Sprengkraft im damit zusammenhängenden Familien- bzw. Elternkonflikt.

Todorović: Für Sascha ist klar, dass er schwul ist. Im Gegensatz zu seinen Eltern, die das Coming-Out für ihn so schwierig machen, hat er damit kein Problem mit seinem Schwul-Sein. Er gehört einer Generation an, die sich nicht sofort in der Hölle sieht.

daStandard.at: Stichwort schwuler Migrant: Sie greifen mit Ihrem Film ein heikles, da tabuisiertes Thema auf. Wie waren die Reaktionen in der montenegrinischen Community bzw. in Montenegro?

Todorović: In Montenegro ist der Film sehr politisch aufgefasst worden. Er wird dort als Film verstanden, der da aufgrund der Thematik irgendwie mit reinpasst. Einerseits stimmt das natürlich, andererseits ist und bleibt es aber auch ein Film aus Deutschland, der etwas über Migration sagt. Gezeigt wurde er jedenfalls am 30. Mai, also einen Tag vor der geplanten Gaypride-Parade in Podgorica, durch die erst kürzlich gegründete, erste schwul-lesbische NGO Montenegros.

daStandard.at: Die Parade musste von den OrganisatorInnen abgesagt werden. Wieso?

Todorović: Wenige Tage vor der Absage gab es ein Konzert einer Band aus Kroatien, deren Sängerin einen lesbischen Kontext hat. Während des Konzertes gab es einen Tränengasanschlag, es musste abgebrochen werden. Die OrganisatorInnen der Parade waren besorgt: Wenn die Sicherheit dort schon nicht gewährleistet werden kann, wie soll das dann bei der Parade klappen? Der für die Parade zugesagte Polizeischutz war ein eher symbolischer gewesen.

daStandard.at: Homosexualität ist am Balkan also nach wie vor ein Tabuthema, das extreme Reaktionen auslöst?

Todorović: Ein absolutes Tabuthema. Das Problem liegt nicht darin, dass es Homosexualität gibt. Dass es sie gibt ist den Leuten am Balkan genauso klar wie anderswo. Das Problem ist das Tabu im klassischen Sinn des Wortes: Man sollte nicht darüber sprechen.

daStandard.at: "Don't ask, don't tell"?

Todorović: Das gilt in vielen Familien und in der Öffentlichkeit. Auch wenn zum Beispiel ein Familienmitglied ganz offensichtlich schwul oder lesbisch ist oder die Familie das zumindest vermutet, wird das Wort "homosexuell" nicht ausgesprochen.

daStandard.at: Das zeigt auch Saschas Familie. Alle sind verunsichert, ob Sascha nun mit seiner besten Freundin Jiao liiert ist oder nicht.

Todorović: Die Eltern sind ja nicht ganz blöd und haben, zumindest unbewusst, die Sorge, dass ihr Sohn schwul sein könnte. Darum sind sie so versessen darauf den Beweis zu finden, dass Sascha ein "richtiger Junge" ist. Darum freut sich sein Vater, als Sascha mit einem blauen Auge nach Hause kommt. "Richtige Jungs", so will es das Klischee, prügeln sich eben.

daStandard.at: Den Tabubruch "begeht" dann Sascha selbst. Er sagt "Ich habe die letzte Nacht bei Gebhard Weber verbracht".

Todorović: Weil die Familie weiß, dass Weber schwul ist, macht Sascha so seine eigene schwule Identität öffentlich. Sein Vater schreit "Lüg mich nicht an" und fleht "Sag, dass das nicht wahr ist". Er will nicht hören, dass sein Sohn schwul ist.

daStandard.at: Die Reaktion des in Montenegro sozialisierten Vaters soll also verdeutlichen, wie stark Homophobie am Balkan verankert sein muss. Auch dass sich selbst der montenegrinische Minderheitenminister im Vorfeld gegen die Gaypride-Parade ausspricht, lässt tief blicken.

Todorović: In dessen Haut möchte ich nicht stecken. Vor kurzer Zeit noch hat er ernsthaft behauptet, dass es in Montenegro keine Homosexuellen gäbe. Und ich bin davon überzeugt, dass er das wirklich so geglaubt hat. Was natürlich absurd ist. Aber in einer derart homophoben Gesellschaft, in der Homosexuelle nicht sichtbar sein dürfen, sind diejenigen, die wissen, dass es Homosexualität natürlich gibt, wahrscheinlich nur die Homosexuellen selbst bzw. ihre Familienangehörigen.

daStandard.at: Die Tabuisierung ist aber kein spezifisch montenegrinisches Problem. Wenn man sich in Süd- bzw. Osteuropa umsieht, ergibt sich überall ein ähnliches Bild: In Montenegro wurde die Parade abgesagt, in Belgrad, Budapest und Split kann sie nur unter großem Polizeiaufgebot stattfinden, trotzdem werden die TeilnehmerInnen physisch attackiert. Was braucht es, damit sich das ändert?

Todorović: Wichtig ist Öffentlichkeit. Zuerst muss aufgezeigt werden, dass es Homosexualität gibt, auch wenn sich das absurd anhört. Jede Schwulen- und Lesbenbewegung, angefangen mit jener in den USA, hat damit begonnen, dass Schwule und Lesben sichtbar wurden. Ich bin überhaupt kein Freund von offensiven Gay-Paraden und störe mich selbst daran, wenn ich Mütter mit Kinderwägen an SM-Wägen vorbeimarschieren sehe. Aber ich denke, dass gerade diese aggressive Zur-Schau-Stellung eine Reaktion auf das extreme Tabu ist.

daStandard.at: In den vergangenen Jahren betonen die ex-jugoslawischen Länder, so wie die Länder des ehemaligen Ostblocks, ihre "Toleranz" gegenüber Minderheiten. Reine Rhetorik, die mit dem Spekulieren auf einen EU-Beitritt zusammenhängt?

Todorović: Ich denke schon. In Montenegro hat vor einiger Zeit das dafür zuständige Ministerium verkündet, dass die Homo-Ehe erlaubt würde. Das eindeutige Ziel dieser Aktion war es, der EU zu gefallen. Diese Schlagzeile sorgte bei schwul-lesbischen NGOs in Serbien für großes Aufsehen. Es hieß, dass es nun große Busreisen von Serbien nach Montenegro, ins balkanische Las-Vegas der Homo-Ehe, geben würde. Daraufhin hat das montenegrinische Ministerium natürlich einen Rückzieher gemacht. Solche Sachen hören sich zwar witzig an, aber man darf natürlich nichts verharmlosen. Homosexuelle haben in den Ex-Jugo-Ländern nach wie vor ein schweres Leben. (Meri Disoski, daStandard.at, 17. Juni 2011)