Mehmet sieht sich als waschechter Hainburger. Bei ihm gibt's türkischen Rakı in mittelalterlichen Trinkbechern mit dem Stadtlogo.

Foto: Güler Alkan

Leyla (links im Bild) hat dieses Jahr auch am Hainburger Mittelalterfest, das zeitgleich zum Kermes stattfindet, aufgetischt. Weder sie, noch ie zwei Mädchen, die ihr am Mittelalterfest aushelfen, wollen sich in Hainburg als "MigrantInnen" verstehen.

Foto: Güler Alkan

Es ist der 6. Juni und die 487. Sitzung des Lions Club in Hainburg. Im rustikal eingerichteten Clublokal, das im stadtbekannten Gasthaus "Zum goldenen Anker" beherbergt ist, geht es diesmal nicht um Umweltschutz oder den Erhalt von Kulturdenkmälern, sondern um das Miteinander verschiedener Kulturen in Hainburg. "Wir wollen grundsätzlich über den gemeinsamen Lebensraum Hainburg reden", erklärt Clubpräsident Hannes Wimmer gleich zu Beginn. Mit seinen böhmisch-slawisch-elsässischen Ahnen sieht er sich auch als zugereister Hainburger. Für ihn ist die Förderung des multikulturellen Zusammenlebens neben anderen Gemeinschaftsprojekten ein wichtiger Aufgabenbereich des Lions Club.

Daher wurden drei Vertreter der Liste WFH (Wir für die Hainburger Bevölkerung) eingeladen, um Fragen zum Alltag von Hainburgern mit türkischem Migrationshintergrund zu beantworten. Mit dabei ist Leyla Yilmaz, die bei den Gemeinderatswahlen im März 2010 für die Liste WFH einen Sitz im Gemeinderat erreichen konnte. Auch Cengiz Gency und Murat Alkan haben sich dazugesellt, um über das Thema zu sprechen.

"Nirgendwo zuhaus"

Wenn es um die Frage der Identität geht, haben alle drei Hainburger mit Migrationshintergrund viel zu erzählen. Ob sie sich als Österreicher oder Türken sehen, will man von ihnen wissen. "Man ist nirgendwo zuhaus. Auch im Heimatdorf des Vaters bleibt man ein Fremder", berichtet Cengiz. Er hat die österreichische Staatsbürgerschaft und fühlt sich trotzdem nicht anerkannt. "Auch wenn ich mich als Österreicher fühle, ich bleibe immer noch Türke für die anderen", beklagt er. So sei er in der Schule oder auch beim Fortgehen in Hainburg auf Ablehnung gestoßen. Geht er abends in Hainburg mal aus, zum Beispiel ins Lokal "Krautkeller", werde er andauernd mit Bemerkungen wie "die Türken sind schon da" konfrontiert.

"Wir gehören dazu"

Viele türkischstämmige Jugendliche in Hainburg gehen abends daher in Wien oder in nahe gelegene Bratislava, erzählen die beiden. Auch Murat geht nur mehr in Wien fort. "Da muss ich niemandem meinen österreichischen Pass vorweisen und mir anhören lassen, ich sei trotzdem kein Österreicher wegen meines Namens und Aussehens, " berichtet er über Passkontrollen vom Türsteher. Murat findet es überhaupt schade, dass man heutzutage noch darüber diskutieren muss, woher ein Mensch komme. "Ich seh mich nicht als Migrant. Ich bin glücklicher Österreicher mit Migrationshintergrund. Wir gehören zu Hainburg dazu", betont er ausdrücklich. Seine Generation, also die Kinder der ersten Gastarbeiter, seien in Hainburg gut integriert.

Sprache als Schlüssel

Bei der jüngeren Generation zeichnet sich ein anderes Bild ab. "Das Problem ist, dass die dritte Generation weder Deutsch noch Türkisch richtig lernt, weil die zweite Generation Türkisch nicht richtig vermitteln kann", erzählt Leyla. Sie habe mit ihren Kindern bis zum zweiten Lebensjahr nur Türkisch geredet, erst im Kindergarte kam Deutsch dazu. "Jetzt können sie beide Sprachen sehr gut sprechen", so die zweifache Mutter und Gemeinderätin. Das Erlernen der deutschen Sprache als auch der eigenen Muttersprache sehen die drei daher als Schlüssel zur Integration.

Bildungsdefizite

Was die schulische und berufliche Ausbildung anbelangt gibt es auch hier Unterschiede zwischen zweiter und dritter Generation. Murat, der als Ingenieur in Wien arbeitet, berichtet davon, wie schockiert er ist über manch Lehrlinge in der Firma, die "die unmöglichsten Fragen stellen." Aber das sei auch bei österreichischen Lehrlingen ohne Migrationshintergrund ein Problem, ist er sich mit einem Lions Club-Mitglied einig. Dennoch könne er die jüngere Generation nicht immer verstehen. Viele Jungs seien an Ausbildung gar nicht interessiert. "Das ist eine komplett andere Welt für sie, dass ich studiert hab", so Murat.

Cengiz gibt zu Bedenken, dass die erste Generation der eingewanderten Türken in Hainburg aus den ärmeren Regionen Zentral- und Ostanatoliens stammt und wenig bis gar keine Schulbildung aufweisen. Mit den Kindern habe da niemand die Hausübungen gemacht. "Das ist aber auch bei österreichischen Familien so, dass die Verantwortung der Erziehung an die Schulen abgegeben wird, sei es aus Desinteresse oder Unfähigkeit", meint ein Lions Club-Mitglied.

...aber auch schulische Erfolge

Es gibt aber auch bereits viele türkischstämmige junge Menschen, die maturiert haben und in Wien studieren. "Vor allem die Mädchen schließen eher eine Lehre oder eine höhere Schuldbildung ab." Cengiz berichtet aber auch von einigen Fällen, "wo türkischen Buben keine Empfehlung für das Gymnasium gegeben wurde, obwohl sie sehr gute Noten hatten. Die Eltern haben Gott sei Dank nicht auf die Lehrer gehört. Die Kinder gehen jetzt ins Gymnasium und haben dort keine Probleme", berichtet er.

"Auf einmal voll verschleiert"

Als die drei eingeladenen Gäste befragt werden, warum so viele junge Mädchen aus dem Türkeiurlaub "auf einmal voll verschleiert" zurückkämen, fallen die Antworten nicht eindeutig aus. Nicht immer sei das ein Zeichen für religiösen Fanatismus, bei vielen türkischen Hainburgerinnen werde es eher aus traditionellen Gründen getragen. "Oft ist es die Schwiegermutter, die nach der Hochzeit von ihrer Schwiegertochter das Tragen eines Kopftuches verlangt", erzählt Leyla. Der Druck ein Kopftuch zu tragen werde auch von der Gemeinschaft oder den Nachbarn auferlegt. "Wer sich einmal bedeckt, tut sich schwer, das Kopftuch abzulegen, damit keine üble Nachrede entsteht." Die türkische Gemeinde in Hainburg sei eben auch sehr eng miteinander verwoben, "da kennt jeder jeden."

Berührungsängste

Murat will am Ende wissen, warum es immer die Türken sind, über die man redet, wenn es um Integration geht, und wie die Lions Club Mitglieder in Hainburg die Türken sehen. "Keine schlechten Erfahrungen" lautet dabei der Tenor in der Runde, die heute ausnahmsweise nicht nur aus Männern besteht. Die Ehefrauen mancher Mitglieder sind bei dieser Gesprächsrunde auch anwesend. "Die ersten Kontakte sind über's Fußballspielen vom Sohn zustanden gekommen", berichtet ein Clubmitglied. Seine Frau bestätigt ebenfalls keine negativen Erfahrungen mit türkischen Einwanderern gehabt zu haben, bemängelt aber dass bei vielen Schul - und Sportfesten "nie jemand von den Eltern da war." Das bedeute aber nicht automatisch mangelndes Interesse, meint Cengiz, schließlich könnten viele Mütter kein Wort oder zu wenig Deutsch.

"Kocht's doch was"

Clubmitglied und Optiker im Ort, Gerald Alschinger schlägt den kulinarischen Weg des Kennenlernens vor. "Kocht's doch was. Beim Essen braucht man sich nicht verstehen." Er hätte überhaupt gerne ein türkisches Restaurant in Hainburg. "Das gab's früher, vor zwanzig Jahren, und dort konnte man auch türkische Familien kennen lernen." Herr Staffenberger, der neben ihm sitzt, meint, dass es zum gegenseitigen Kennen lernen genug Gelegenheiten gäbe. Er ist letztes Jahr zur Einladung zum Kermes, der Feier der Moscheegemeinde im Ort, gefolgt. "Ich hab mich dort sehr wohl gefühlt. Und interessanterweise saßen die Frauen alle auf den Bänken und wurden von den Männern bedient und verwöhnt", berichtet er.

Die Einladungen zum diesjährigen Kermes-Fest sind diesmal in allen Hainburger Postkästen gelandet. Leyla hat dieses Jahr aber am Hainburger Mittelalterfest, das zeitgleich zum Kermes stattfindet, aufgetischt. Neben türkischem Rakı wird es auch Süßes wie Baklava geben. Sie sieht sich wie Murat und Cengiz als waschechte Hainburgerin, das Mitwirken am Mittelalterfest in mittelalterlicher Tracht ist für sie daher selbstverständlich.