Nina Beiers Installation "Shelving for Unlocked Matter and Open Problems" aus dem Jahr 2010 im Hamburger Bahnhof: ideal, um das Nichts zu verstauen.

Foto: Jiri Thyn

Die Ausstellungsorte sind quer über Berlin verteilt.

In Berlin ist der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zugleich auch amtierender Kultursenator. Das hat Vorteile, vor allem den des kürzest denkbaren Entscheidungswegs, wenn es denn etwas zu entscheiden gibt.

Irgendwo in den Ganglien Wowereits und auf den Gängen des Rathauses ist im vergangenen Jahr die Idee einer "Leistungsschau" all jener Künstler entstanden, die in Berlin leben und arbeiten. Das sind tatsächlich viele aus allen Weltgegenden und auf allen Stufen der Erfolgsleiter. Dem Image der deutschen Hauptstadt als Metropole der Kreativen sollte diese Ausstellung auch zuträglich sein.

Doch bei so viel Standortpolitik konnte die Szene gar nicht anders: Sie musste sich dagegen verwahren, dass hier ein Event angesetzt wurde, der eine Menge Geld kosten würde, während die Strukturen des Berliner Ausstellungsbetriebs chronisch unterfinanziert bleiben. So richtig boykottieren wollte die Leistungsschau von des Bürgermeisters Gnaden aber doch niemand, und so wurde sie letzte Woche eröffnet.

Based in Berlin spielt schon im Titel mit der wichtigsten Konvention des Kunstbetriebs: dass man ständig die Koffer packt und nur selten an dem Ort ist, den man zu seiner Basis erklärt hat. In Österreich heißt die komplementäre Ausstellung einfach Lebt und arbeitet in Wien, sie passt in der Regel in eine (dann allerdings ziemlich vollgeräumte) Kunsthalle.

Berlin hingegen hat eine solche gar nicht, deswegen wurde für Based in Berlin wieder einmal ein Ort entdeckt: Das Atelierhaus im Monbijoupark dient in den kommenden Wochen als Location zum Abhängen und für den Diskurs. Kunst ist auch ausgestellt.

Andererseits hat man sich doch dazu entschlossen, weniger temporäre Orte wie die KunstWerke, den Neuen Berliner Kunstverein, die Berlinische Galerie und den Hamburger Bahnhof einzubeziehen. Und so wurde es wieder eine dieser typischen Stadtwanderausstellungen, die das Publikum von Pontius zu Pilatus schicken, nur damit es dann zum Beispiel im Atelierhaus vor einer verschlossenen Tür steht, die der Künstler Mandla Reuter mit Nothing to See, Nothing to Hide betitelt hat. Ist der aufgehängte Feuerlöscher das Kunstwerk? Nein, so einfach und trivial ist es dann doch nicht, von außen sieht man mehr und begreift, dass es sich um eine Architekturintervention handelt, die dem geplanten Abriss des Gebäudes vorgreift.

Es gibt noch eine viel spektakulärere Intervention dieser Art: Hoch über dem Atelierhaus hat man eine Plattform errichtet, auf der drei Geländewagen stehen, westliche Qualitätsautos in illegal eingeführten chinesischen Nachbauten. Man hat von dort oben eine schöne Aussicht über Berlin-Mitte - ob das Kunstwerk des Österreichers Oliver Laric in seiner ebenso einfachen wie ostentativen Logik den ganzen Aufwand tatsächlich lohnt, kann man sich während des Abstiegs überlegen.

Vielleicht ist es dem generellen Durcheinander solcher Gruppenausstellungen geschuldet, dass Künstler sich mehrfach mit Ordnungssystemen oder Regalen beschäftigen. Die gebürtige Dänin Nina Beier hat mit ihrer Skulptur Shelving for Unlocked Matters and Open Problems im Hamburger Bahnhof eine Installation geschaffen, in der man das Nichts sehr schön verstauen kann. Kajsa Dahlberg wiederum hat im Monbijoupark ein ganzes Wandregal mit Büchern gefüllt, in denen Virginia Woolfs Ein Zimmer für sich allein in vielfacher Ausfertigung aufgestellt ist: Die Künstlerin hat aus Berliner Bibliotheken nämliches Buch entlehnt und daraus alle Unterstreichungen, Annotierungen usw. übertragen, die frühere Leser hinterlassen haben. So entsteht eine Bibliothek der anderen Art, in der sich individuelle Leseakte zu einem gemeinsamen Leseerlebnis zusammenfügen.

Worauf das - in seiner Spannung zwischen der einzelnen Idee und der zusammenhängenden Leistungsschau - hinausläuft, lässt sich vielleicht am besten im Hamburger Bahnhof ersehen: Eine Installation erinnert an die Galerie im Regierungsviertel, einen der wichtigsten Berliner Orte der letzten Jahre, der die Flüchtigkeit des Kunstbetriebs auf den Punkt ständiger neuer Eröffnungen brachte. Die ausgestellten Werke wurden, wie es offiziell heißt, im ganzen Trubel dort "vergessen".

Ein bisschen Kunstweglegung kann man auch in der nonchalanten Inszenierung von Based in Berlin erkennen. Aber es ist absehbar, dass die Ausstellung ihren Zweck erfüllen wird, als improvisierter Mittelpunkt für die urbanen Nomaden. Und Berlin kann weiter an seinem Mythos von der Kunstmetropole des 21. Jahrhunderts basteln. Klaus Wowereit hat übrigens angekündigt, dass es demnächst auch wieder einen Kultursenator geben soll. Vorher will er nur noch als Regierender Bürgermeister wiedergewählt werden.

Based in Berlin ist ein Wahlgeschenk, mit dessen Zweckentfremdung die Szene schon begonnen hat. (Bert Rebhandl aus Berlin   / DER STANDARD, Printausgabe, 17.6.2011)