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Wien - "Frauen werden von Selbstbehalten deutlich mehr betroffen sein als Männer." Maria M. Hofmarcher, Gesundheitsökonomin am Institut für Höhere Studien (IHS), zeigt im Standard-Gespräch eine besondere, geschlechterspezifische Schieflage auf, die durch die von der Regierung geplanten Selbstbehalte für alle ASVG-Versicherten noch verstärkt würde.

Konkret heißt das, dass "Frauen von Selbstbehalten um 35 bis 40 Prozent mehr betroffen wären als Männer, sie müssten also ein Drittel mehr von ihrem Einkommen dafür ausgeben", verweist Hofmarcher auf IHS-Modellrechnungen. Frauen gehen, das belegen europäische Vergleichsstudien, generell häufiger zum Arzt als Männer. Darüber hinaus sind Frauen im Verhältnis zu ihrem Einkommen in nie^drigen Bildungsstufen doppelt so stark von Selbstbehalten betroffen wie Frauen in der höchsten Bildungsstufe. Bei Männer beträgt der Unterschied nur etwa ein Fünftel.

Besondere Brisanz haben Selbstbehalte vor dem Hintergrund, dass Frauen noch immer um fast ein Drittel weniger als Männer verdienen. Dass im Alter allgemein mehr Gesundheitsleistungen nötig sind, für Frauen wie für Männer, schlägt angesichts der viel niedrigeren Frauenpensionen doppelt zu Buche. Pensionistinnen haben laut Statistik Austria im Durchschnitt nur drei Fünftel von dem Geld zur Verfügung, das Männer im Alter ausgeben können. "Durch Selbstbehalte im Gesundheitssystem verdoppelt sich die Benachteiligung von Frauen", sagt Hofmarcher.

Vor diesem Hintergrund seien Selbstbehalte "problematisch", so die IHS-Gesundheitsexpertin. Das IHS hat zwei Szenarien durchgerechnet, um abschätzen zu können, wie viel die geplanten Zuzahlungen im Gesundheitswesen finanziell überhaupt bringen würden. Der Finanzierungseffekt wäre in beiden Fällen "nicht extra hoch".

Fall 1 ging von der Annahme eines 20-prozentigen Selbstbehalts (bei Wegfall von Krankenschein- und Ambulanzgebühr) aus. In diesem Fall wären zwischen 362 (Kinder ausgenommen) und 487 Millionen Euro für die Krankenversicherung zu lukrieren.

Fall 2 hatte einen Fixbetrag pro Arztkontakt (fünf Euro beim Praktiker, zehn Euro beim Facharzt) als Basis. Damit wären die Mehreinnahmen höher, nämlich 640 Millionen Euro pro Jahr. Da 23 Prozent aller Facharztbesuche Überweisungen sind, sinken die erwarteten Einnahmen aber auf 560 Millionen. Zum Vergleich: Das Finanzministerium rechnet 2004 mit 519 Millionen Euro Kassendefizit, 2005 mit 867 Millionen.

Hofmarchers prinzipielle Kritik: "Es ist schon auffällig, dass die Gesundheitspolitik insgesamt auf der Nachfrageseite, also bei den Versicherten, stecken bleibt." Wichtige Bereiche wie Spitäler oder das gesamte ärztliche Honorar- und Leistungssystem blieben bislang ausgespart. Sie plädiert nachdrücklich für "ein Überdenken bestehender Vertrags- und Honorarregelungen, um den fairen Zugang zu haus- und fachärztlicher Versorgung aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen". (Lisa Nimmervoll/DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2003)