Das Bemühen, die heimische Wirklichkeit zu verstehen, kann manchmal daran scheitern, dass allgemein anerkannte Grundsätze oder Definitionen hierzulande ihre Gültigkeit verlieren. So beschreibt zum Beispiel der Duden den Begriff "Beschaffungskriminalität" als "Gesamtheit der kriminellen Handlungen, die der Beschaffung von Drogen oder von Geld zum Kauf von Drogen dienen".

Für Österreich gilt diese Begriffserklärung nicht mehr. Das Jugendgefängnis in Gerasdorf informiert, dass bei über der Hälfte aller Fälle der dort Inhaftierten Beschaffungskriminalität als Tatmotiv vorliegt - allerdings nicht aufgrund von Drogen, sondern von Spielschulden und Automaten-Spielsucht.

Diese Wahrnehmung wird von Kriminalbeamten und Jugendbetreuern bestätigt. Glücksspiel hat Drogen als Kriminalitätsmotor Nummer eins klar abgelöst. Wissenschaftliche Studien belegen, dass rund 20 Prozent der Spielsüchtigen Straftaten - zumeist Raub, Serienüberfälle und Einbrüche - zur Finanzierung ihrer Sucht begehen. 91 Prozent dieser Täter sind automatenspielsüchtig, und jeder neu aufgestellte Automat züchtet im Schnitt einen weiteren Spielsüchtigen heran.

Wir alle werden also Zeugen eines öffentlichen Experiments, bei dem die Entstehung des Verbrechens neu erforscht wird. Bisherige Erklärungsmodelle wie "soziale Extremsituationen", "familiäre Verwahrlosung" oder "charakterliche Defekte" müssen um die Erkenntnis ergänzt werden, dass Kriminalität auch von Maschinen hergestellt werden kann.

Wenn sich angesichts dieser Tatsachen junge Wiener SPÖ-Funktionäre an die Tradition des Maschinensturms erinnern und nach dem Motto "Alle Glücksräder stehen still, wenn dein starker Arm es will" die einarmigen Banditen beim Armdrücken besiegen wollen, gehen sie davon aus, dass Kriminalitätsbekämpfung auch in unserem Land ein selbstverständlicher und unverhandelbarer Grundsatz zivilisierter Politik ist.

Doch dem ist nicht so. Im roten Wien hat ein "Spielapparatebeirat", dessen Führung ausschließlich aus Vertretern der Automatenindustrie zusammengesetzt ist und dessen übrige Mitglieder nicht öffentlich genannt werden, in sechs Jahren keine einzige Überprüfungsanfrage behandelt. Im schwarzen Niederösterreich wurden 2500 Automaten durch eine Umgehung gültiger Landesgesetze rechtswidrig genehmigt. Die FPÖ kassiert für ihre Parteizeitung vom führenden Spielautomatenhersteller die höchste finanzielle Zuwendung aller heimischen Parteien. Und bei den Grünen rechtfertigt der oberösterreichische Klubobmann Gottfried Hirz seine Zustimmung zur Legalisierung der Automaten mit dem Argument, dass Gesetze nichts nützen.

Eine bezwingende Begründung, deren Konsequenzen für die Rechtsprechung an sich interessant werden könnten. Übertroffen wird das noch von der in Tirol gelebten Praxis. Dort sind Glücksspielautomaten verboten, was die Gemeinden nicht daran hindert, für die rund 1500 illegal aufgestellten Maschinen Vergnügungssteuer zu kassieren.

Das Tolerieren örtlicher Drogendealer und Einbrecher, die brav ihre Kommunalsteuer bezahlen, wäre der logische nächste Schritt. (Florian Scheuba, DER STANDARD; Printausgabe, 16.6.2011)