Der Grüne Peter Pilz zeigt auf: Er fordert von seiner Partei mehr Mut und mehr Bewegung. Der Kampf gegen Korruption sei ein grünes Alleinstellungsmerkmal.

Foto: Der Standard/Cremer

"Im normalen grünen Trott kommen wir auf diesem Weg nicht weiter. Wir sind die einzige Partei, deren Abgeordnete sich nicht kaufen lassen."

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Standard: Sind Sie auch ein Fahrrad-Rowdy?

Pilz: Ich fahre mit Helm und zügig. Ab und zu fahre ich auch gegen die Einbahn. Aber ich möchte nicht mehr auf schlampig hingepinselten Fahrradwegen fahren. Ich will die Straßen haben, ich will, dass wir Radfahrer genug öffentlichen Platz kriegen.

Standard: Die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou hat einen Knigge für Radfahrer angekündigt. Ist das notwendig?

Pilz: Wenn es nicht so weit geht, dass die Regeln der Wiener Tanzschulen auf den Fahrradverkehr übertragen werden, warum nicht? Warum soll es nicht gute Ratschläge für mehr Höflichkeit und Freundlichkeit im Radverkehr geben? Ich bin dafür, dass der ganze Verkehr viel freundlicher wird.

Standard: Die Grünen erwecken den Eindruck, als wären sie regulierungswütig. Sind Regeln für Radfahrer und das Verbot von Zigarettenautomaten wirklich die Themen, die die Republik bewegen?

Pilz: Mit Sicherheit nicht. Die Themen, die die Republik bewegen, reichen von Zuwanderung über die Energiewende bis zur Bekämpfung der Korruption. Ob irgendwo ein Zigarettenautomat hängt, wird nichts daran ändern, dass sich junge Buben und Mädchen ab und zu eine anrauchen. Wo Glawischnig recht hat: In Österreich wird der Jugendschutz kriminell vernachlässigt. Das beginnt aber nicht beim Zigarettenautomaten, sondern beim kleinen Glücksspiel. Wer junge sozial benachteiligte Leute in Praterhallen bis zu 30.000 Euro pro Stunde verspielen lässt, darf sich nicht wundern, wenn sie eine alte Frau überfallen und sich das nächste Spielkapital beschaffen. Da bin ich für Verbote.

Standard: Sind die Grünen mit ihrem Themen-Setting richtig aufgestellt?

Pilz: Unser Themen-Setting ist richtig: Atomkraft, Energiewende, Bildung. Dazwischen kommen halt einmal Zigarettenautomaten und ein Fahrrad-Knigge vor. Das wird hoffentlich niemand für grüne Hauptthemen halten.

Standard: Die Atompolitik und die Energiewende ist längst von den anderen Parteien vereinnahmt worden.

Pilz: Wir sind als Grüne offensichtlich stark genug, dass sich die Regierungsparteien immer öfter zu unseren Inhalten bekennen. Dass Rot und Schwarz als Grüne auftreten, Antiatomreden halten und die Energiewende fordern, ist doch ein schöner Erfolg für uns.

Standard: Von dem Sie am Wahltag aber vielleicht nichts haben.

Pilz: Ja, wenn wir den Streit mit den Atomschwindlern Faymann und Berlakovich nicht gewinnen.

Standard: Im Augenblick scheinen die Grünen mit Umfragewerten um die 15 Prozent von einer Regierungsbeteiligung weit entfernt. Ist Rot-Grün-Orange eine Option?

Pilz: Mit Sicherheit nicht. Ich halte es für undenkbar, dass die Grünen mit Freiheitlichen eine Regierung bilden, ob die jetzt blau oder orange sind. Es macht keinen Unterschied, ob das die germanischeren oder die kleptomanischeren Freiheitlichen sind.

Standard: Dann werden entweder die Freiheitlichen in der nächsten Regierung sein, oder es gibt eine Fortsetzung der großen Koalition.

Pilz: Wir müssen den Menschen klarmachen, dass diesmal eine neue Regierung und nicht wieder eine große Koalition gewählt wird. Es ist zum ersten Mal möglich, dass die große Koalition unter 50 Prozent fällt. Es wird nach der nächsten Wahl entweder Blau regieren oder Grün regieren. Derzeit sprechen die Zahlen für Blau. Also geht es um eine große grüne Aufholjagd. Wir müssen einmal selbst verstehen: Im normalen grünen Trott kommen wir auf diesem Weg nicht weiter.

Standard: Wie bricht man aus diesem Trott aus? Mit einem Fahrrad-Knigge?

Pilz: Wir können uns feiern, dass wir jetzt bei 15 Prozent liegen. Das ist im europäischen Vergleich für Grüne ein tolles Ergebnis. Für eine Regierungsbeteiligung und eine große politische Wende in Österreich ist es aber zu wenig. Also müssen wir schauen, wie wir zu den fehlenden fünf bis sieben Prozent kommen. Darauf gibt es nur eine Antwort: Gibt es zu der korrupten und verantwortungslosen Politik, der die Menschen nicht mehr trauen, eine Alternative? Wir Grünen lassen eines unserer größten Kapitale brachliegen, nämlich dass wir die einzige Partei sind, die nicht nur saubere Luft will, sondern auch saubere Hände. Wir sind die einzige Partei, deren Abgeordnete sich nicht kaufen lassen. Wir sind die einzige Partei, die sich nicht von Glücksspielkonzernen und Rüstungsunternehmen finanzieren lässt. Wir sind die einzige Partei, der man in Regierungsverantwortung - schon in zwei Bundesländern - nicht die Veruntreuung von Steuergeldern nachsagen kann. Das ist ein ungeheures politisches Kapital, das bis jetzt vollkommen ungenutzt ist.

Standard: Wie könnte man dieses Kapital heben?

Pilz: Indem wir einen Vorschlag machen:Misten wir gemeinsam diese Republik aus, misten wir diese Politik, in der sich FPÖ, SPÖ und ÖVP nicht unterscheiden, aus. Bekämpfen wir die Käuflichkeit und Korruption in der Politik.

Standard: Dann bliebe für die Grünen aber kein Partner mehr über.

Pilz: Dann werden sich SPÖ und ÖVP im Kern ändern müssen. Wenn sie das nicht tun, haben sie ohnedies keine Regierungszukunft mehr. Früher oder später werden wir spanische Verhältnisse haben. Es soll doch niemand glauben, dass die jungen Leute nicht auch bei uns auf die Straße gehen werden. Die Unis haben in Österreich zu "brennen" begonnen. Aber diese Zeichen werden von Faymann und Spindelegger nicht verstanden. Da tut sich etwas Gravierendes. Die jungen Leute wenden sich von der Politik ab. Wenn SPÖ und ÖVP die Leute auf die Straße bringen wollen, sind sie auf dem besten Weg. Aber dann gehen wir mit den jungen Leuten auf die Straße.

Standard: Und regulieren dort den Verkehr?

Pilz: Na, wir werden uns mit Sicherheit nicht an die Kreuzungen stellen und einen Aufstandsknigge verteilen. (Michael Völker, DER STANDARD; Printausgabe, 16.6.2011)