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Ein singender Schlagzeuger bei der Arbeit:
Levon Helm.

Foto: AP/Joe Giblin

Levon Helm "Ramble at the Ryman"
(CD + DVD/EMI)

Cover: EMI

Es gibt ein Leben nach The Last Waltz. Levon Helm hat sich mit seinen Midnight Ramble-Konzerten jenen musikalischen Traum verwirklicht, den er als Interview-Partner in Martin Scorseses Konzertfilm über den Bühnenabschied von The Band 1976 als Kindheitserinnerung lebendig werden ließ: großzügig bemessene Konzertabende, in denen mit Gästen dem Bastard Rock'n'Roll und seinen Ingredienzen Country, Folk, Blues, Soul und R&B gehuldigt wird. Als einziger US-Amerikaner in der sonst aus Kanadiern bestehenden Gruppe The Band hatte der aus Arkansas stammende Sänger und Drummer mit seinem southern drawl Song-Klassikern wie Up On Cripple Creek, The Night They Drove Old Dixie Down oder The Weight stimmliche Authentizität verliehen und dafür gesorgt, dass sich selbst Reunion-Formationen erfreulich von ähnlichen Versuchen anderer Bands abhoben.

Ende der 90er Jahre drohte Helms Stimme wegen einer Kehlkopfkrebserkrankung für immer zu verstummen. Mit der ihm eigenen Sturschädeligkeit meldete sich der Musiker mit den ersten seiner Midnight Ramble-Konzerte ab 2004 im heimeligen Rahmen seines Tonstudios inmitten der Wälder seiner Wahlheimat Woodstock zuerst als Drummer, dann auch als Sänger zurück. Unterstützt vom Leader seiner Live-Band, Larry Campbell, wie er selbst einst ein Begleiter Bob Dylans, veröffentlichte Helm schließlich mit Dirt Farmer (2007) und Electric Dirt (2009) die besten Solo-Alben seiner mittlerweile 50-jährigen Karriere.

Nicht nur das, Helm geht mit seinen Midnight Rambles, für die sich regelmäßig Musiker wie Elvis Costello, Steve Earle, Bill Frisell, Jack DeJohnette oder Emmylou Harris im Schupfn-artigen Studio zum Konzert einfinden, mittlerweile auch auf Tour. Ein Gastspiel im legendären Ryman Auditorium in Nashville ist nun sowohl als Live-CD wie auch mit gleicher Setlist als Konzertfilm auf DVD erschienen. Gerne als The Mother Church of Country Music bezeichnet, hat das Auditorium mit seinen arena-artigen Sitzreihen einst die berühmten Grand Ole Opry-Sendungen aber auch Neil Young bei dessen Filmaufnahmen für Heart of Gold beherbergt. Idealer Boden für den traditionsbewussten Helm also, der als junger Musiker selbst noch durch die Schuppen des Chitlin' Circuit im Süden der USA getourt ist und so den Rock'n'Roll an seinen Wurzeln kennen gelernt hat.

Back to Memphis

Dass eine angewitterte Stimme kein Grund ist, mit weniger Verve zur Sache zu gehen, führt Helm gleich mit dem Opener Ophelia, einem Klassiker aus The-Band-Tagen vor. Auch die knackigen Bläser-Arrangements sind eines Allen Toussaint, einem alten Weggefährten, absolut würdig. Der von Helm gern gespielte Chuck-Berry-Song Back to Memphis darf als programmatische Ansage verstanden werden. Ganz im Sinne des Revue-Charakters seiner Rambles überlässt der singende Drummer Helm dann seinen Gästen den Platz am Mikrofon und legt diesen mit seinem unerkennbaren, synkopierten Schlagzeugspiel, Stichwort Hillbilly Funk, ein Fundament, auf dem es sich wunderbar dahin grooven lässt.

Little Sammy Davis, Jahrgang 1928 und einer der letzten großen Blues-Sänger und Mundharmonikaspieler seiner Generation, gehört seit Anfang der Midnight Ramble-Konzerte zur Stammmannschaft von Helm - zu Recht wie er mit Fannie Mae und einem groovigen Baby Scratch My Back vorführt. Bluegrass-Meister Sam Bush und Roots-Music Spezialist Buddy Miller gastieren mit dem von Helm auf Dirt Farmer gecoverten Wide River to Cross, Sheryl Crow übernimmt beim Song Evangeline erfolgreich jene Rolle, die Emmylou Harris im Last Waltz innehatte und interpretiert mit dem Carter-Family-Song No Depression in Heaven jenes Stück, das einer ganzen Roots-Rock-Bewegung ihren Namen und dem Haus- und Hofmagazin seinen Titel gegeben hat.

High Lonesome Sound

Dass es schlussendlich aber Helm ist, der die Show ihren Höhepunkten zuführt, braucht nicht zu überraschen. Allerdings gilt dies nicht nur für beherzte Versionen von The-Band-Klassikern wie Rag Mama Rag, The Shape I'm In und dem unverwüstlichen The Weight, dargeboten als All-Star-Finale (gibt es einen besseren Song dafür?) samt Singer/Songwriter John Hiatt. Wie Helm in einer spartanisch nur von Geige und Teresa Williams und seiner Tochter Amy Helm als Harmony-Sängerinnen begleiteten Version von Anna Lee mit drängender Stimme den high lonesome sound das evoziert, was Greil Marcus das alte unheimliche Amerika genannt hat, sorgt unweigerliche für Gänsehaut und erinnert daran, dass man es hier mit einem Altmeister zu tun hat, der endlich aus dem Schatten seiner (Band-)Geschichte herausgetreten ist. Catch him while you can! (Karl Gedlicka, derStandard.at, 19. Juni 2011)