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Ökonomen warnen angesichts der Schulden der Provinzen vor einer "Zeitbombe" für die chinesische Wirtschaft. Doch die Zentralregierung möchte den lokalen Behörden nicht rettend zur Seite stehen.

Foto: dpa Montage: Der Standard

Der Schuldenberg der Lokalregierungen drückt auf die Wachstumsaussichten Chinas.

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Jahrhunderte entzogen sich die Regionen im Reich der Mitte den Befehlen der Zentralregierung nach dem Motto: "China ist groß. Und der Kaiser ist weit." In der heutigen Volksrepublik heißt das Bonmot: "Die Zentrale gibt die Anweisungen - Die Lokalstellen wissen, wie sie sie unterlaufen können." Pekings Zentralbankchef Zhou Xiaochuan enthüllte jetzt in einer alarmierenden Finanzübersicht, wie sich Chinas 31 Provinzen mithilfe ihrer Geldinstitute der Kontrolle der Pekinger Aufsicht entzogen und sich dabei eine Schuldenlast von heute umgerechnet 1,5 Billionen Euro aufbürdeten. Noch vermag niemand zu sagen, wie viele der Kredite bei Fälligkeit faul werden. Der Pekinger Ökonom Zhao Xiao warnte in der südchinesischen Zeitung Nanfang schon früh vor den "Zeitbomben der chinesischen Blasenwirtschaft."

Die Schuldenpolitik der Provinzen begann mit der Weltfinanzkrise 2008, die Chinas Realwirtschaft früher und stärker als andere Länder traf. Peking reagierte mit der blitzschnellen Auflage gewaltiger Konjunkturprogramme zur Abwehr der Krisenfolgen und nahm alle Provinzen in die Pflicht. Um die Wirtschaft zu beleben, pumpten diese massenhaft Geld in zehntausende örtliche Infrastrukturvorhaben aller Art. Sie finanzierten ihre Ausgaben über Milliardenkredite, die sie durch Finanztricks erhielten. Offiziell dürfen Kommunen keine Schulden aufnehmen, Anleihen auflegen oder sich Kredite direkt von Geschäftsbanken besorgen. Mit solchen Regeln wollte die Zentralregierung unkontrollierter Überschuldung und Überhitzung vorbeugen und zugleich Quellen für Korruption verschließen.

Am Zentralstaat vorbei

Um die Verbote zu umgehen, gründeten die Provinzen "Rongzi Pingtai" (Finanzplattformen). Die lokalen Finanzierungsvehikel hatten nur einen Zweck: Sie sollten im Namen der und für die Provinzregierungen Geld für Investitionsprojekte von den Geschäftsbanken leihen. Ökonom Zhao Xiao spricht von der wundersamen Vermehrung der Finanzvehikel. Im Mai 2009 hatte die Zentralbank die Gesamtzahl dieser Finanzinstitute der Provinzen mit 3800 angegeben, Ende 2010 waren es fast dreimal so viel. Auch ihre Kreditaufnahme erhöhte sich allein 2009 um 50 Prozent. Ende des Jahres 2010, so schreibt die Zentralbank, standen die "Rongzi Pingtai" mit 14.000 Mrd. Yuan (umgerechnet mehr als 1,5 Billionen Euro) in der Kreide. Der überwiegende Teil dieser Schulden floss in langfristige Infrastrukturprojekte, etwa für den verlustreichen Hochgeschwindigkeitsbahnbau, aber auch in Stadtverschönerung und Prestigebauten aller Art.

Analysten schätzen, dass ein Fünftel der Kredite abgeschrieben werden muss. Damit scheint das lokale Schuldenproblem angesichts des Gesamtwachstums Chinas und seiner Devisenreserven von drei Billionen Dollar überschaubar.

Kein "Bailout"

Das am Dienstag erschienene finanzpolitische Magazin Caixin Century warnt in seiner Titelgeschichte "Schuldenvehikel hängen am seidenen Faden" aber davor, den Finanzsumpf, in dem Kommunen und Banken stecken, zu verharmlosen: "Die Alarmglocken läuten. Das Märchen von der Kontrollierbarkeit unserer lokalen Schulden ist erschüttert."

Rufe nach einem "Bailout" der Provinzen durch die Zentralregierung sind lautgeworden. Entsprechende Berichte ließ Peking dementieren. Einflussreiche Wirtschaftszeitungen wie die China Business Times warnten am Montag, dass eine Umschuldung ein falsches Signal setze.

Dabei trägt die Zentralregierung die Schuld an den Schuldenproblemen in den Provinzen. Das 2008/2009 auf den Weg gebrachte staatliche Konjunkturanschubprogramm zählte von Anfang an auf die Provinzen. Peking selbst stellte durch eigene Mittel weniger als ein Viertel der 460 Mrd. Euro zur Verfügung. Alles andere mussten die Provinzen über ihre Finanzvehikel beisteuern. Daraus wurden dann immer mehr Schulden. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2011)