Oft bleibt Frauen nach gewalttätigen Übergriffen nur die Flucht ins Frauenhaus. Für Migrantinnen ist laut ExpertInnen ein Neuanfang nach erlebter Gewalt in Österreich besonders schwierig.

Foto: Heribert Corn

ExpertInnen fordern jetzt mehr Präventionsarbeit und einen dreijährigen Aufenthaltstitel für Opfer.

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Linz/Wien - Jede fünfte Frau in Österreich wird Opfer von Gewalt in der Familie. Migrantinnen sind in gleichem Maße betroffen, aber es ist für sie deutlich schwieriger, rechtzeitig Hilfe zu bekommen. Oft bleibt nur mehr die Flucht ins Frauenhaus.

Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass dieser letzte Ausweg aus einem oft jahrelang andauernden Kreislauf der Gewalt immer häufiger gewählt wird. Migrantinnen sind mit im Durchschnitt 57 Prozent in Österreichs Frauenhäusern überrepräsentiert. Diese hohen Fallzahlen lassen Experten jetzt Alarm schlagen. Gefordert wird mehr Schutz und eine effizientere Hilfe.

Das Faktum, dass deutlich mehr als die Hälfte der in Frauenhäusern betreuten Opfer Migrantinnen sind, lässt aber nicht den Schluss zu, dass Frauen mit Migrationshintergrund in Österreich häufiger Opfer von häuslicher Gewalt werden. "Die Fallzahlen sind nicht höher. Der Unterschied liegt aber darin, dass bei Opfern mit Migrationshintergrund die Gewalterfahrungen meist länger dauern und diese Frauen somit intensiver Gewalt ausgesetzt sind", erläutert Paulina Wessela, Leiterin der Abteilung "Psychosoziale Angebote für Schutzbedürftige" der Volkshilfe Oberösterreich, im Gespräch mit dem Standard.

Ursache dafür sei, dass Migrantinnen kaum ein soziales Netzwerk hätten. Wessela: "Familiäre Auffangnetze sind viel weniger vorhanden. Betroffen sind da vor allem Asylwerberin oder Frauen, die nach Österreich nachziehen. In beiden Fällen ist eine Familie nicht vor Ort. Sprachprobleme, Unkenntnis über die gesetzliche Lage und mitunter Angst vor einem Einschreiten der Polizei führen zu einer sozialen Isolation." Natürlich spiele manchmal auch die Kultur und die Stellung des Mannes im Herkunftsland eine Rolle. "Aber da ist im Vergleich zu den anderen Aspekten kein höherer Anteil erkennbar", weiß Wessela.

Strukturelle Gewalt

Maria Schwarz-Schlöglmann, Leiterin des Gewaltschutzzentrums in Oberösterreich, ist davon überzeugt, dass Migrantinnen in Österreich neben personaler Gewalt zusätzlich struktureller Gewalt ausgesetzt sind: "Etwa durch das Aufenthalts- und Beschäftigungsrecht. Migrantinnen sind häufig im Niedriglohnbereich und in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu finden und somit armutsgefährdet. Wenn die mangelnde rechtliche Absicherung in der neuen Heimat und Existenzängste den Weg zur Polizei unmöglich machen, können diese Frauen letztlich nicht aus der Gewaltspirale ausbrechen."

Gefordert wird von den ExpertInnen eine Änderung der Rechtslage. Wessela: "Migrantinnen, die von Gewalt betroffen sind, sollten für drei Jahre einen Aufenthaltstitel bekommen." Das Problem sei derzeit nämlich, dass Frauen oftmals im Zuge der Familienzusammenführung von ihren Männern, die bereits einen gültigen Aufenthaltstitel im Zielland haben, nachgeholt werden. "Im Fall einer Trennung oder Scheidung müssen Migrantinnen nach Ablauf eines Jahres gewisse Voraussetzungen (Wohnung, Einkommen und Sozialversicherung) erfüllen, um selbst einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Diese Voraussetzungen sind für die meisten Frauen nicht zu erbringen. Am Ende bleibt meist nur die Rückkehr zum gewalttätigen Ehemann oder in das Heimatland", warnt die Flüchtlingsexpertin.

Zusätzlich sei die Einführung von muttersprachlichen Mitarbeitern in den Beratungs- und Betreuungseinrichtungen wichtig. Wessela: "Da fehlt es in Österreich massiv an Unterstützung. Die Frauen müssen ihre Rechte im neuen Land kennen. Begriffe wie Unterhalt, Recht auf Trennung/Scheidung, Obsorge müssen verständlich gemacht werden." Und es brauche sogenannte "Notfallswohnungen". Diese sollten einen Neustart erleichtern. (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.6.2011)