Die Sportjournalistin Song Ji-seon wurde reglos vor ihrem Apartment in Seoul gefunden. Das Fenster ihrer Wohnung im 19. Stock darüber stand noch offen, als die 30-jährige Fernsehmoderatorin ins Spital gefahren und dort schließlich für tot erklärt wurde.

Vor 25 Jahren hatte Korea noch eine niedrigere Selbstmordrate als die USA, seitdem hat sie sich fast verdreifacht und ist damit die höchste aller OECD-Länder. Suizid stellt in Korea die vierthäufigste Todesursache dar.

Im Wochentakt titeln die Zeitungen von Prominenten, die sich das Leben genommen haben. Dabei spielt immer öfter - wie auch im Fall Songs - das Internet eine katalysierende Rolle. Nur wenige Tage vor der Tragödie wurde auf Songs Blog von intimen Details über den Baseballspieler Im Tae-hoon berichtet, mit dem sie seit eineinhalb Jahren eine Liebesbeziehung geführt haben soll. Ob der Blog Eintrag tatsächlich von ihr geschrieben wurde oder ihr Account, wie sie beteuerte, von einem Unbekannten gehackt wurde, lässt sich im Nachhinein nicht definitiv feststellen.

Ausgelöst hat das Geständnis jedoch eine regelrechte Hexenjagd seitens der aufgebrachten Online- Community: Dafür dass sie angeblich einen "unschuldigen" Athleten für ihre Karriere schamlos benutzt haben soll, wurde Song in tausenden Foren, Posts, Twitternachrichten und Statusmeldungen in sozialen Netzwerken immer und immer wieder auf Übels-te beleidigt. Der daraus resultierende Druck war wohl ein Mitgrund für ihren Suizid.

Korea hat eine der aktivsten Online-Communities weltweit. 99 Prozent aller Zehn- bis 39-Jährigen benutzen regelmäßig das Internet. Auch Durchschnittsbürger können leicht zur Zielscheibe anonymer Hetzjagden werden.

11.000 Anzeigen pro Jahr

Als sich im letzten Jahr eine junge Koreanerin in einer beliebten Fernsehshow über klein gewachsene Männer lustig machte, wurde sie nicht nur mit Morddrohungen bombardiert - auch ihr vollständiger Name und ihre Wohnadresse wurden im Internet veröffentlicht.

Bisher konnten weder dafür ausgerichtete "Cyber Terror Units" an Polizeistationen noch Namensüberprüfung für Internetportale die Hasstiraden der Internetnutzer eindämmen. Laut Polizeistatistik wurden 2009 knapp 11.000 Fälle von Cyber-Mobbing gemeldet. Damit haben sich die Straftaten der meist anonymen Internetnutzer innerhalb von fünf Jahren verdoppelt.

"Online-Kommentare mit der Absicht, anderen zu drohen, sie zu belästigen und zu degradieren, sind zu einem maßgeblichen Problem in Korea geworden", findet auch der Seouler Universitätsprofessor Min Byeong-chul. Als sich 2007 eine Sängerin nach im Internet verbreiteten Gerüchten über ihre Schönheitsoperationen das Leben nahm, trug Min seinen 586 Studenten auf, jeweils zehn Webseiten prominenter Cyber-Mobbing-Opfer zu besuchen und positive Kommentare zu hinterlassen. Aus den daraus resultierenden 5860 positiven Botschaften wurde mittlerweile eine große Bewegung, der sich Schulen und Unis im ganzen Land angeschlossen haben. Für weit mehr als eine halbe Million gutgemeinter Posts sind sie mittlerweile verantwortlich. (Fabian Kretschmer aus Seoul, DER STANDARD; Printausgabe, 14.6.2011)