Schneller als erwartet hat sich die EU-Kommission offiziell für den Beitritt Kroatiens ausgesprochen. Es gibt freilich noch immer einen enormen Ballast der tiefverwurzelten Korruption aus der Ära Tudjman und Sanader. Auch die leidenschaftlichen Protestdemonstrationen gegen die Verurteilung der als Helden betrachteten zwei Generäle durch das Haager Kriegsverbrechertribunal weckten neue Zweifel über die Bereitschaft zur Aufarbeitung der eigenen Gräueltaten bei der letztlich erfolgreichen Abwehr der von großserbischen Nationalisten entfachten Eroberungspolitik. Das Strafverfahren nach der Auslieferung des seit Dezember 2010 in Salzburg inhaftierten Ex-Ministerpräsidenten Ivo Sanader könnte der bereits erfolgreich verlaufenden Jagd nach korrupten Politikern und hohen Beamten einen mächtigen Auftrieb verleihen.

Trotz dieser Altlasten und trotz der schlechten Erfahrungen mit Bulgarien und Rumänien kann man die Empfehlung aus Brüssel vorbehaltlos begrüßen. Warum? Historisch, wirtschaftlich und kulturell war und ist Kroatien ein mitteleuropäischer Staat par excellence. Für das Land der 4,4 Millionen Kroaten mit einer über 6.000 Kilometer langen Adriaküste gilt der Ausspruch Josef Schumpeters, des großen österreichisch-amerikanischen Nationalökonomen: "Soziale Strukturen, Typen und Verhaltensweisen sind Münzen, die nicht leicht schmelzen. Sind sie einmal geprägt, überdauern sie möglicherweise Jahrhunderte." Es war die vom Nationalismus verblendete und zutiefst korrupte Führungsgarnitur um Franjo Tudjman, den ersten Präsidenten der unabhängig gewordenen Adriarepublik und um ihre Nachfolger, die die Chance eines schnellen Beitritts während der seit sechs Jahren laufenden Beitrittsverhandlungen immer wieder verspielt hatte.

Der von den Sünden der Vergangenheit unbelastete Staatspräsident Ivo Josipović und die mutige, aber von vielen Seiten bedrängte Ministerpräsidentin Jadranka Kosor haben viel getan, um die Korruption zu bekämpfen und die Reformbemühungen (unter anderem Unabhängigkeit der Justiz, Beschleunigung der Gerichtsverfahren und die Strafverfolgung der Kriegsverbrechen) zu verstärken. Die grenzüberschreitende politische Nützlichkeit des Beitritts Kroatiens mit Blick auf die Spannungen in der ganzen Balkanregion liegt auf der Hand. Vor dem für den 1. Juli 2013 vorgesehenen Beitrittsdatum müssen alle 27 Mitgliedstaaten den Vertrag ratifizieren. Ob es überhaupt dazu kommt, hängt in erster Linie davon ab, ob die Mehrheit der Kroaten dem Beitritt in der nach der Vertragsunterzeichnung vorgesehenen Volksabstimmung zustimmen wird.

Bemerkenswert und erfreulich ist in dieser Hinsicht übrigens, dass die ungarische Ratspräsidentschaft von Anfang an mit großem Elan versucht hat, die Mitgliedstaaten zu einem zügigen Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien zu bewegen. Angesichts des Trianon-Kultes und des betont nationalen Kurses seiner rechtskonservativen Regierung springt damit Ministerpräsident Viktor Orbán über seinen eigenen Schatten. Budapest setzt alles auf die kroatische Karte, um noch einen krönenden Abschluss der umstrittenen Ratspräsidentschaft feiern zu können. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 14.6.2011)