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Gehen, sagt Geherin Toporek, ist die ideale Disziplin für Stadtbewohner.

Foto: Reuters/Snyder

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Im Gegensatz zum Wettlaufen wird beim Renngehen zuerst die Ferse aufgesetzt.

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Standard: Wie kommt man auf die Idee, Geherin zu werden?

Toporek: Weil ich Wettkämpfe machen wollte. Ich war früher Läuferin, habe in Trnava schon mit 14 sechsmal in der Woche trainiert. Als 16-Jährige schaffte ich über 800 Meter 2:15. Dann habe ich mich am Knie verletzt, konnte nicht mehr wettkampfmäßig laufen. Bei einem Volkslauf hat mich ein Geher-Trainer gesehen. Gehen war populär damals in der Tschechoslowakei.

Standard: Tatsächlich?

Toporek: Na ja, Gehen war und ist olympisch, und es war der Plan, dass man dort, wo weniger Interesse und Attraktivität herrscht, leichter die Medaillen holt.

Standard: Sie waren vom Gehen gleich begeistert?

Toporek: Zuerst habe ich die Geher ausgelacht und gesagt: So etwas Lächerliches werde ich sicher nie tun. Im Laufen konnte ich aber keine Medaillen machen wegen des Knies, und ich habe mir gedacht, im Gehen schon. Also habe ich es probiert. Das Knie wurde dann auch besser.

Standard: Hat das Gehen gleich funktioniert?

Toporek: Ich war die Nummer fünf in der tschechoslowakischen Nationalmannschaft. Zu Wettkämpfen wurden aber nur vier mitgenommen, ich war Ersatzfrau. Viele glauben, man importiert die guten Ostblocksportler nach Wien. Bei mir war das nicht so.

Standard: Sondern?

Toporek: Beim Gehen bin ich meinem mittlerweile ehemaligen Mann, einem Österreicher, der in der CSSR trainierte, über den Weg gelaufen. Ich habe geheiratet, bin 1988, noch während des Eisernen Vorhangs, nach Österreich gekommen. Das war nicht einfach. Durch das Nichtkönnen der Sprache musste ich in Wien ein bisschen Gas geben im Sport, damit sich meine Lage verbessert. 1990 habe ich die Staatsbürgerschaft bekommen und das Limit für die Hallen-EM in Glasgow geschafft. Das war der Durchbruch.

Standard: Wurden Sie von der Sporthilfe gefördert?

Toporek: Ich habe etwas Geld bekommen, aber nicht lange, vielleicht zwei Jahre.

Standard: Was ist das Faszinierende am Gehen abgesehen vom Wettkampf an sich?

Toporek: Es ist eine sanfte Bewegung. Es schaut nur optisch so aus, dass man sich quält, dass die Gelenke abgenützt werden.

Standard: Die Hüften werden aber schon extrem bewegt.

Toporek: Sie würden aber nicht behaupten, dass man beim Tanzen Hüftprobleme bekommt. Renngehen ist genauso natürlich wie Tanzen.

Standard: Nicht wenige Menschen haben zum Gehen einen etwas spöttischen Zugang. Wie gehen Sie damit um?

Toporek: Ich behaupte, dass ich sehr selbstbewusst bin. Ich trainiere meistens im Prater auf der Hauptallee und gehe immer in der Mitte. Ich weiche nicht aus. Dadurch schaffe ich mir so einen Respekt, dass mich keiner verspottet. Ich weiß aber nicht, wie es den anderen Gehern geht. Ich habe auch das Gehen ein bisschen populär gemacht seinerzeit. Es ist nämlich ein Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann geht.

Standard: Weshalb?

Toporek: Wenn eine Frau geht und die richtige Technik anwendet, ist es optisch reizvoller.

Standard: Weil der Popo rhythmisch wackelt?

Toporek: Genau.

Standard: Beschreiben Sie bitte die Technik des Gehens.

Toporek: Man rollt den Fuß von der Ferse ab, nicht wie beim Laufen von der Zehe. Das ist eine gegensätzliche Bewegung. In der Vertikalen muss das Knie durchgestreckt sein. Und ein Fuß muss immer am Boden sein. Es gibt zwei Arten von Verwarnungen. Eine, wenn das Knie nicht gestreckt ist, eine, wenn sich beide Füße in der Luft befinden.

Standard: Wer erfindet eine Sportart wie Gehen?

Toporek: Das weiß ich gar nicht. Ich weiß nur, dass die Männer seit mehr als 100 Jahren bei Olympia sind und die Frauen erst seit 1992. Für mich ist das eine natürliche Bewegung. Und eine komplexe Bewegung. Hände, Oberkörper und Kopf müssen ruhig sein, der Rumpf darf nicht rotieren. Die Arme müssen aktiv sein, damit man vorwärtskommt. Das muss man erst behirnen. Es kann auch nicht jeder tanzen.

Standard: Läuft der Geher im Training auch?

Toporek: Natürlich. Aber in meiner kurzen Zeit als Profi, als es nur Training, Essen und Schlafen gab, bin ich wenig gelaufen. Ich bin bis zu 150 Kilometer in der Woche gegangen. Trotzdem schaffte ich aus dem Gehertraining 1:18 im Halbmarathon.

Standard: Sind Sie einmal in die Nähe einer Olympia-Qualifikation gekommen?

Toporek: Ich habe sogar die internationalen Limits gehabt 1992 für Barcelona, ich wurde nur nicht entsandt. Damals waren zehn Kilometer olympisch, jetzt sind es 20. Das IOC-A-Limit lag bei 46 Minuten, das B-Limit bei 48. Der österreichische Verband hat von mir verlangt, 45 Minuten zu gehen. Dreimal bin ich unter 46 gegangen, das hat nicht genügt. 1991 war ich bei der Freiluft-WM in Tokio. Aber ich war immer nur Teilnehmerin, war nie irgendwo an vorderer Stelle.

Standard: Wie viele Geher gibt es in Österreich?

Toporek: Was ist ein Geher?

Standard: Einer oder eine, die Wettkämpfe bestreiten?

Toporek: Insgesamt vielleicht 15 Frauen und 20 bis 30 Männer. Das Phänomen, dass man bei Wettkämpfen so wenige Leute am Start hat, gibt es nicht nur beim Gehen, sondern generell in der Leichtathletik. Es kommen kaum junge Menschen nach.

Standard: Genießen Sie beim Gehen die relative Langsamkeit im Vergleich zum Laufen?

Toporek: Überhaupt nicht. Ich gehe auch privat sehr schnell. Jetzt bin ich gerade aus dem Haus gegangen, und die Nachbarin stand mit dem Rücken zu mir. Ich hab sie eh schon gehört, sagte sie. Sie erkennen mich an der Frequenz der Schritte.

Standard: Ist es nicht kontraproduktiv, schnell zu gehen anstatt zu laufen?

Toporek: Wir wollen gehen. Sie können ja auch nicht, wenn Sie Brustschwimmen und schneller sein wollen, einfach ins Kraulen kommen. Und wenn jemand verwarnt wird, wenn er ins Laufen kommt, macht er das ja nicht bewusst. Man wird müde. Die Technik einzuhalten ist Koordinationssache. Und das fällt viel schwerer, wenn man eine Sauerstoffschuld hat und die Muskulatur steifer wird.

Standard: Gibt es eine spezielle Ausrüstung für Geher?

Toporek: Nein, man trägt Laufschuhe und Laufgewand. Gehen ist die ideale Disziplin für Stadtbewohner. Man braucht asphaltierte Straßen oder Gehwege, Zeit und Schuhe, sonst nichts. (Benno Zelsacher, DER STANDARD, Printausgabe, 11./12./13.6.2011)