Wien - Es war ein beliebtes Sujet des 19. Jahrhunderts: sich zu Tode tanzende junge Frauen, die eine Spur der Verwüstung nach sich ziehen. Die Literatur hatte einiges dergleichen zu bieten; und auch Heinrich Heine nahm das stark erotisch aufgeladene Thema des ausgelassenen Tanzens auf.

Er schrieb den Aufsatz Elementargeister und gab darin die alte slawische Sage von den Wilis wider - junge Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind und noch über das Grab hinaus ihre tödliche Tanzlust nicht befriedigen können. Zur Mitternacht lauern sie jungen Männern auf und tanzen diese quasi gewaltsam in den Tod.

Giselle ist nun die Ballettfassung jener Sage von Jean Corali, Jules Perrot und Marius Petipa und wurde 1841 in Paris uraufgeführt, maßgeschneidert für die damalige Star-Ballerina Carlotta Grisi. Sie machte das Stück zum Hit, der dem Zeitgeist der Romantik mit Hang zu Mystik und Naturgeistern entsprach und Tänzerinnen eine geeignete Plattform für ihr artistisches Können bot.

Auch heute noch zieht die merkwürdige Story von Giselle, die tanzend an gebrochenem Herzen stirbt, in den Bann. Das mag vor allem am zweiten Akt, dem "Ballett blanc", liegen. Eine beeindruckende Choreografie für das weibliche Corps de ballett mit gespenstischer Stimmung. In der Wiener Staatsoper setzte man die 1993 von der ehemaligen Ballettdirektorin Elena Tschernischova bearbeitete Fassung wieder ins Repertoire, deren düster-naturalistisches Bühnenbild (Ingolf Bruun) und fahle Kostüme (Clarisse Praun-Maylunas) für den nötigen Spukcharakter sorgen.

Das Wiener Staatsballett tanzt insgesamt auf beachtlichem Level, und vor allem Irina Tsymbal in der Titelrolle ist technisch ausgezeichnet und weist perfektes Timing auf (Dirigent: Guillermo Garcia Calvo). Sehr gut ist auch Gregor Hatala als Hilarion und Olga Esina als Myrtha. Eno Peci als Albrecht könnte ein klein wenig mehr Emotion nicht schaden, auch wenn Pathos eher out ist. (Barbara Freitag, DER STANDARD - Printausgabe, 10. Juni 2011)