Die explodierende Staatsverschuldung Griechenlands versetzt die europäischen Finanzmärkte erneut in Unruhe. Aber wie kann die Überschuldung einer so kleinen, unbedeutenden Volkswirtschaft, die weniger als drei Prozent des Bruttoinlandprodukts der Eurozone erwirtschaftet, so bedeutsam sein? - Die Antwort ist einfach: Der gesamte regulierende Rahmen des Finanzsystems basiert auf der Annahme, dass Schulden der öffentlichen Hand risikolos sind. Jede staatliche Zahlungsunfähigkeit in Europa würde diesen Eckpfeiler der finanziellen Regulierung zerstören, und dies hätte schwerwiegende Folgen. Das wird vor allem im Banksektor sichtbar - und an der Haltung der Europäischen Union, die gerade dabei ist, die gesetzlichen Regeln darüber, wie viel Kapitalreserven Banken vorrätig halten müssen, zu überarbeiten.

Wachstumsbremse

Diese Regeln, festgelegt in einem 500-seitigen Gesetzesentwurf namens "CRDIV" , der kürzlich von der EU- Kommission veröffentlicht wurde, schreiben den Banken eine höhere Kapitalrücklage vor, allerdings nur für die Kreditvergabe an den privaten Sektor. Das Verleihen von Geld an Regierungen der Eurozone wird weiterhin als risikolos eingestuft. Das bereits bestehende Ungleichgewicht, dass Banken auf Kosten der Kreditvergabe insbesondere an kleine und mittelgroße Unternehmen ihr Geld überwiegend an die öffentliche Hand verleihen, wird dadurch noch verstärkt.

Dies ist ein gravierender Fehler. Dafür, die Uhr zurück zu stellen (Beginn der Währungsunion) und die Banken plötzlich zu zwingen, ihre exzessiven Bestände an Staatsanleihen zurückzufahren, ist es jetzt natürich zu spät. Unglücklicherweise tun die Regulierungsbehörden aber nicht einmal so, als ob sie aus der aktuellen Krise gelernt hätten, indem sie den Banken auch künftig nicht abverlangen, ihre öffentlichen Anleihen durch Kapitalrücklagen abzusichern. Warum dies notwendig wäre, liegt auf der Hand: Niemand kann ernsthaft behaupten, die Anleihen sämtlicher Staaten der Eurozone seien risikolos. Deshalb sollten Banken natürlich den Risiken, die sie bei der Kreditvergabe an Staaten mit besonders hohen Schulden eingehen, Eigenkapital gegenüberstellen.

Zudem schreiben die neuen Regeln den Banken vor, mehr liquide Mittel vorzuhalten. Welche Mittel die Behörden als liquide betrachten, ist leicht zu erraten: öffentliche Anleihen. Auch dadurch werden Banken veranlasst, Kredite an die öffentliche Hand zu vergeben, anstatt private Investitionen zu finanzieren - trotz der offensichtlichen Tatsache, dass Staatsanleihen sehr illiquide werden können (beispielsweise griechische, irische und portugiesische). Beide Hauptelemente der neuen Bankenregelungen weisen also in dieselbe Richtung: Sie verstärken das Ungleichgewicht in der Kreditvergabe zu Ungunsten des privaten Sektors.

Warum die Behörden weiterhin die Kreditvergabe an die öffentliche Hand fördern, ist leicht zu verstehen: Die Regeln werden von Finanzministern aufgestellt, die natürlich dazu neigen, sich selbst gute Bedingungen zu schaffen.

Darüber hinaus fällt Politikern offenbar die Erkenntnis schwer, dass ihre Haushalte dem Wettbewerb um eine begrenzte Menge an Spargeldern ausgesetzt sind. Niedrige Finanzierungskosten öffentlicher Schulden scheinen gesellschaftlich vorteilhaft zu sein, da die Regierung Zinszahlungen spart und deshalb die Steuern niedriger halten kann. Aber eventuelle Gewinne aufgrund niedrigerer Steuern werden durch die Verluste des privaten Sektors deutlich übertroffen. Die Privatwirtschaft leidet unter höheren Finanzierungskosten und investiert weniger, was das Wirtschaftswachstum bremst und damit wiederum die Staatseinnahmen verringert.

In den letzten Jahren wurden viele Maßnahmen zur verstärkten Regulierung des Bankensystems getroffen. Die aktuellen Vorschläge allerdings machen die Kreditvergabe für Investitionen noch weniger attraktiv und geben den Anreiz, die Konzentration staatlicher Risiken im Bankensektor noch zu erhöhen. Dadurch werden Europas Staatsverschuldungsprobleme nur noch verschlimmert und die ohnehin mageren Wachstumsaussichten weiter reduziert. (Kommentar der anderen, Daniel Gros, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2011)