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Panik lässt sich nicht kontrollieren sondern bestenfalls verstehen

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Der Flug in den Urlaub - für viele eine Qual

Foto: APA/Rainer Jensen

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Die Kabine bedeutet Enge und wenig privaten Platz. Wer nicht gerne fliegt, sollte daher Kleidung tragen, die nicht zusätzlich einengt.

Foto: AP/Axel Heimken

Rasender Puls, flacher Atem, blutarmes Großhirn - so stellt das vegetative Nervensystem den Körper auf Kampf oder Flucht ein. Früher machten sich die Menschen damit für die gefährliche Begegnung mit einem Raubtier fit. Heute fliegt das "Raubtier" bei Phobikern im Flieger mit: in Form von Angst. Die Reaktion auf den Feind ist dieselbe wie vor Jahrtausenden in der Wildnis. Der Körper spannt sich an und läuft energetisch auf Hochtouren, bereit für den absoluten Ernstfall.

Leidensdruck statt Urlaubsvorfreude

Flugangst ist präsent, aber die Zahl der Betroffenen schwer zu schätzen. Rund 60 Prozent der Menschen leiden darunter, ein Bruchteil davon hat richtige Panikattacken. "Es gibt immer wieder Probleme mit Menschen, die schon vor dem Check-In Theater machen", erzählt der Psychologe und frühere Berufspilot Gerhard Meier. Er arbeitete jahrelang in der Flugeinsatzzentrale am Flughafen Innsbruck. Dabei erlebte er den Leidensdruck Betroffener immer wieder mit.

Seit mehr als zehn Jahren hält Meier Seminare um Phobikern in der Konfrontation mit der Angst auf die Sprünge zu helfen. Er vermutet, dass ein Drittel aller Betroffenen gar nicht erst in den Flieger steigt, eindeutiges Vermeidungsverhalten an den Tag legt. Doch für manche von ihnen kommt der Tag, an dem sie fliegen müssen oder wollen.

Enge und Kontrollverlust als Probleme

"Das Gefühl von Enge induziert die Angst und das beginnt oft schon in der Flughalle", weiß der Psychologe. Simple Ablenkung funktioniere da nur bis zu einem gewissen Grad. Gegen das "Kopfkino der Angst" können aber Zeitschriften und MP3-Player nicht viel ausrichten. Denn das Flugzeug sei eine Projektionsfläche für viele Ängste: eingeschlossen zu sein, fallen zu müssen, Trennungsangst, Kontrollverlust.

"Kontrollsucht ist bei allen ängstlichen Menschen übermäßig ausgeprägt", sagt auch der Wiener Psychologe Robert Wolfger, der im Auftrag der Austrian Airlines Flugangstseminare abhält. Sowohl die verlorene Kontrolle nach außen - das Flugzeug in der Luft zu halten, als auch die unkontrollierbaren angstgetriebenen Vorgänge im Inneren - der Schwindel und das pochende Herz - belasten die Hilfesuchenden. "Die Kontrolle gelingt aber nicht, weil das emotionale System und das, was uns die Evolution mitgegeben hat, stärker sind als die Vernunft. Und dann tritt die Panik ein", so Wolfger.

Sein Publikum ist bunt gemischt: vielfliegende Geschäftsreisende, ältere Ehepaare, die sich endlich eine Flugreise gönnen wollen und viele Mütter, die nach der Geburt Flugangst entwickelt haben. Gerhard Meier hat viel mehr Frauen als Männer in seinen Seminaren, was aber nicht daran liegt, dass Frauen öfter Flugangst haben, sondern dass es unter Männern vielmehr ein Tabu ist darüber zu sprechen.

Körpervorgänge erklären

Standen früher in Flugangstseminaren Entspannungsübungen im Zentrum, setze man jetzt auf die Akzeptanztherapie. Wolfger erklärt den Teilnehmern genau was sich bei Panik im Körper abspielt, damit sie wissen, was in ihnen vorgeht. "Angst ist eine wichtige Sache, man muss lernen damit umzugehen. Ihr auszuweichen ist die falsche Strategie", erklärt auch Meier. Er lehrt seine Klienten wie sie die aufkeimende Flucht- oder Kampf-Reaktion des vegetativen Nervensystems in gute Bahnen lenken können. Dazu gehört auch körperliche Entspannung: "Aufstehen, Runden im Flugzeug machen, nicht sitzen bleiben", rät der Psychologe. Die psychische Entspannung stelle sich dann automatisch ein. Kommen Turbulenzen auf, solle man sich nicht verkrampfen, sondern versuchen mit den Bewegungen des Flugzeugs mitzugehen, sonst reagiere der Körper schnell mit Schwindel und der Angst-Teufelskreis kommt erst recht in Schwung. 

Alkohol hilft nicht

Nicht zu empfehlen sei das berühmte Stamperl Schnaps: "Der Luftdruck wirkt verstärkend auf den Alkohol und das ist kontraproduktiv." Gabriele Gerra ist seit 30 Jahren Flugbegleiterin bei der AUA und kennt das Problem aus der täglichen Praxis: "Nur wenige artikulieren ihre Angst im Flieger, viele kompensieren mit zu viel Alkohol." Ihr und ihren Kollegen ist es am liebsten, wenn Betroffene von ihrem Problem erzählen, dann bekommen sie auch die notwendige Aufmerksamkeit: "Kontakt zum Gast, freundliches Lächeln und Empathie helfen den Menschen ungemein", so Gerra. Laufen Fluggäste Gefahr zu hyperventilieren, weil sie eine viel zu hohe Atemfrequenz haben, nimmt sich die Flugbegleiterin Zeit und versucht sie "runterzubringen" - mit Atemübungen und Tipps zur Muskelentspannung.

Unbekannte Technik

Ein Drittel der Flugphobiker, darunter viele Erstflieger, haben Angst vor dem Unbekannten. Ihnen hilft die Erklärung der technischen Details eines Flugzeugs oft schon weiter. Gerra erklärt dann auch - sehr beruhigend für viele Fluggäste: "Die Luft ist ein tragendes Element." Deswegen erläutert auch  im Seminar ein Pilot die Geräusche und Bewegungen beim Fliegen. "Die wenigsten wissen, dass ein Flugzeug wunderbar ohne Treibstoff gleiten kann, eine halbe Stunde vor der Landung ist es schon im Leerlauf", weiß Wolfger. Ein Flugzeug könne niemals fallen. Im Kabinenmodell können sich die Seminarteilnehmer mit den Gegebenheiten und möglichen Turbulenzen vertraut machen. So wird Schritt für Schritt Vertrauen in die Technik aufgebaut.

Testflug als "Abschlussprüfung"

Das abschließende Erfolgserlebnis für die Seminarteilnehmer ist der Testflug, eine Kurzstrecke innerhalb Europas. "Die Stimmung ist anfangs zwar meist noch etwas angespannt, später aber gelöst", erzählt Wolfger. Für den seltenen Fall, dass ein Teilnehmer kneifen will, kommt dem Psychologen der Gruppeneffekt zu Hilfe: "Die Menschen motivieren sich immer gegenseitig."

Doch bei manchen steckt hinter der Flugangst mehr, weiß Meier. Merkt er das, schickt er Betroffene statt zum Seminar zur Psychotherapie, "dort sind sie besser aufgehoben". Auch Wolfger kennt das Problem: "Manche müssen weiter tun, wenn die Angst tiefsitzend und generalisiert ist." Mit einem einzelnen Seminar ist es dann nicht getan. Für viele bedeutet der Testflug aber den ersten großen Schritt zum positiven Umgang mit der Angst und danach heißt es üben, üben, üben. (Marietta Türk, derStandard.at, 11.7.2011)