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Im Kloster im Hintergrund startete Gregor Mendel seine Versuche. Weiße und lila Erbsenblüten brachten ihn auf die Spur der Vererbungslehre.

Foto: REUTERS/Ben Hirschler

Wiener Forscher loteten bei einer Studienreise Kooperationsmöglichkeiten aus.

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Gerade einmal 110 Kilometer Luftlinie trennen Wien und Brünn: Und doch scheint die südmährische 370.000-Einwohner-Metropole oftmals allzu fern. Das mag an historisch gewachsenen Differenzen mit den tschechischen Nachbarn liegen oder auch einfach daran, dass es nach wie vor keine durchgehende Autobahnverbindung in den Norden gibt.

Abseits touristischer Sehenswürdigkeiten kann sich besonders Brünns Forschungslandschaft sehen lassen. Um diese zu erkunden, begab sich vergangene Woche eine Delegation von Lebenswissenschaftern und Forschungsverantwortlichen in die zweitgrößte Stadt Tschechiens. "Wir sollten in Wien erkennen, dass Brünn ein starker Forschungsstandort ist, mit dem wir völlig auf Augenhöhe kooperieren können", sagt Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds WWTF, der die Busfahrt gemeinsam mit dem Südmährischen Innovationszentrum JIC organisiert hat. "Wir können aus den Erfahrungen Österreichs beim Aufbau eines Life-Science-Standorts lernen", formuliert David Uhlíř vom JIC die Vorteile einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Schon jetzt gilt Südmähren als eine der am schnellsten wachsenden Regionen Zentraleuropas, seit Jahren wird auf Wissen und Forschung als Antrieb gesetzt. Demnächst dürften mehr als 600 Millionen Euro aus dem EU-Strukturfonds dazukommen, die bis 2015 ausgeschüttet werden. Vier Exzellenzzentren und elf anwendungsorientierte regionale Forschungs- und Entwicklungszentren sollen damit aufgebaut werden.

Brünn ist traditionell ein fruchtbarer Boden für wissenschaftliche Innovationen: Hier hat vor rund 150 Jahren Gregor Mendel anhand der Erbsenzucht die Regeln der Vererbung entdeckt und so die Basis der modernen Genetik geschaffen. Viktor Kaplan, Rektor der TU Brünn, erlangte als Erfinder der Kaplan-Turbine Weltruhm. Heute beleben 80.000 Studenten das einst durch die Textilindustrie geprägte "Manchester von Österreich-Ungarn". Rund um die Maseryk-Universität und die Technische Universität haben sich eine Reihe von Forschungszentren und Hightech-Unternehmen niedergelassen, die nun mithilfe von EU-Geldern weiterwachsen sollen.

Stammzelltherapien

Wie etwa das International Clinical Research Center der St.-Anne-Universitätsklinik, unweit des Klostergartens, in dem Mendel seine Pflanzenexperimente durchführte. Es wurde von der renommierten Mayo-Klinik in den USA als exklusiver Forschungspartner ausgewählt. Spezialisten aus beiden Instituten werden in dem neuen Exzellenzzentrum an Biomarkern und Stammzelltherapien zur Diagnose und Heilung von Herzkreislauf- und von neurologischen Krankheiten arbeiten.

Für die 200-Millionen-Euro-Förderung, die in das größte Exzellenzzentrum, das Central European Institute of Technology (Ceitec), fließen, hat Regionalkommissar Johannes Hahn bereits am 1. Juni offiziell sein Okay gegeben. Bis 2015 sollen 600 internationale Wissenschafter und 1200 Studenten in sieben Schwerpunkten von Nanotechnologie über Pflanzengenomik bis zu Hirnforschung herausragende Forschung betreiben. Dazu wird vor allem in State-of-the-Art-Infrastruktur investiert - was auch für heimische Wissenschafter interessant ist. "Es wird dort Instrumente geben, die in Wien schwer zu finden sind, zumal in dieser Masse", sagt der Pflanzenforscher Christian Luschnig von der Wiener Universität für Bodenkultur. "Das ist sehr attraktiv für Forscher aus dem Ausland und für junge Wissen- schafter."

Luschnig hat soeben mit Jürgen Kleine-Vehn (siehe Geistesblitz) einen Jungwissenschafter an Bord der Boku geholt. Dessen Doktorvater, der Biochemiker Jiří Friml, wird demnächst in seine Heimat Brünn zurückkehren. Nicht zuletzt dadurch könnten die bereits seit Jahren bestehenden Bande zwischen Wiener und Brünner Pflanzenforschern intensiviert werden.

Ähnliche Forschungsfelder

Dass an beiden Standorten ähnliche Forschungsfelder im Zentrum stehen, sieht Luschnig als Chance. "Jede Einrichtung hat ihre eigene Expertise: das Gregor- Mendel-Institut in Wien in Epigenetik, die Boku in Pflanzenadaptionsmechanismen und Brünn in Zellbiologie."

"Ich hoffe, dass es gelingen wird, zu sinnvollen Kooperationen zu kommen", sagt Andreas Tiran. "Schließlich muss die Auslastung der teuren Geräte auch nach Auslaufen der Strukturförderung 2015 sichergestellt werden", so der Leiter der Campus Support Facility am Vienna Bio Center, zuständig für die gemeinsame Nutzung von High-Tech-Equipment am Bio Center.

Was die Laborausstattung angeht, hat Österreich jedenfalls Nachholbedarf: Bis 2014 müssten jährlich mindestens 250 Millionen Euro in neue Infrastruktur gepumpt werden, um konkurrenzfähig zu bleiben, heißt es in einer Erhebung des Forschungsrates. "Wenn Wien nicht nur als Musikstadt, sondern auch als Forschungsmetropole einen Ruf haben möchte, dann muss sich das Bewusstsein dafür ändern", mahnt Alexander Van der Bellen, Universitätsbeauftragter der Stadt Wien.

Im Herbst werden die Brünner Kollegen nach Wien kommen, dann sollen mögliche Kooperationen konkretisiert werden. Ebenso stehen Austauschprogramme für Forscher und Studenten sowie gemeinsame Kurse auf der Agenda - damit die Städte auf der wissenschaftlichen Landkarte wieder näher zusammenrücken. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 08.06.2011)