Also sprach der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu zum Thema Veto gegen Ursula Plassnik: Die Türkei könne "niemandem zustimmen, der gegen die EU-Mitgliedschaft der Türkei ist und unsere Zugehörigkeit zu Europa in Zweifel zieht, weil wir Muslime sind".

Das ist der Generalton, den die gegenwärtige, immer selbstbewusstere Türkei und vor allem die überaus selbstbewusste, gemäßigt islamische AKP-Partei des Premiers Recep Tayyib Erdogan beim Thema "EU-Beitritt der Türkei" anschlägt. Erdogan selbst sagt immer wieder, zuletzt 2010 in Bosnien: "Wenn sie uns in der EU nicht wollen, verlieren wir nichts. Dann entscheiden sie sich eben dafür, ein Christenclub zu sein."

Es wird Zeit, dass diesem zugleich wehleidigen und aggressiven Argument führender türkischer Repräsentanten (aber auch etlicher europäischer Befürworter eines Beitritts der Türkei zur EU) energisch und inhaltlich stringent widersprochen wird.

Selbstverständlich betrachten große Teile der europäischen Bevölkerung den Islam als etwas Fremdes und leicht Beunruhigendes. Aber nicht so sehr, weil wir ein vor Glaubensseifer vibrierender Christenklub sind, sondern weil wir seit langem nicht mehr gewohnt sind, dass eine Religion so großen, umfassenden Einfluss auf alle Lebensbereiche hat, wie es beim Islam der Fall ist - oder wie uns Äußerungen von Erdogan, Davutoglu und andere glauben machen.

Das Christentum ist nicht mehr aggressiv, obwohl es manchmal anders aussehen mag: Die Medienauswerter des türkischen Außenministeriums haben vielleicht in den heimischen Zeitungen gelesen, dass der neue VP-Chef Spindelegger Mitglied des Ordens der "Ritter vom Heiligen Grab" ist, der sich sozial um die Christen im Nahen Osten kümmert (was sehr notwendig ist). Das Motto dieses Ordens lautet Deus lo vult (spätlateinisch für "Gott will es!"), was allerdings der Ruf war, mit dem Papst Urban II. am 27. November 1095 zum ersten Kreuzzug aufrief.

Verschwörungstheoretiker (und die sind in der türkischen politischen Szene mehr als präsent) mögen daraus ein weiteres Indiz für die These "Sie wollen uns nicht, weil wir Muslime sind" ableiten.

Es gibt aber ganz handfeste , durchaus weltliche Gründe, warum die Türkei - noch - nicht zur EU passt. Die Türkei ist eine Demokratie, aber eine mit massiven autoritären Zügen, mit einem immer noch unangemessen großen Einfluss von Militär und Polizei, mit Verfolgung politischer Gegner und des kritischen Journalismus (auch durch die regierende AKP), mit Unterdrückung von Minderheiten, aber auch mit einem stark autoritären, patriarchalischem Klima in Familie und Zivilgesellschaft.

Das hat sich - durchaus durch die AKP - in den letzten Jahren einerseits gebessert, andererseits gibt es gerade in der allerletzten Zeit beunruhigende Tendenzen. Im Wahlkampf erklärte Erdogan z. B., kritische ausländische Medien seien "von Israel gesteuert".

Die Türkei gehört in dem Sinn zu Europa, dass sie politisch-wirtschaftlich sehr stark mit uns verbunden ist. Erdogan, Davutoglu und andere spielen aber auf eine Weise die Religionskarte aus, die viele in Europa irritiert. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2011)