Von heiß bis kalt: Das Regierungsthermometer.

grafik: derstandard.at
  • PRIVATISIERUNG "Wir ärgern sie mit der Wehrpflicht, sie ärgern uns mit der Privatisierung": So beschreiben Regierungsinsider die Motivation hinter den derzeit hitzigsten Koalitionsscharmützeln - wohlwissend, dass es bei diesen Sandkastenspielen am Ende wohl keinen Sieger geben wird. Besonders weh tun der roten Seele die Nadelstiche Maria Fekters: Die schwarze Finanzministerin fordert die Teilprivatisierung von Bundesbahn, Post und anderen Betrieben im staatlichen Besitz, um professionelleres Management zu fördern und Geld für den Schuldenabbau zu lukrieren. Für die SPÖ ist das ebenso ein No-Go, wie für die sozialdemokratische Sozialpartnerhälfte, die Fekters Plan für ein Verlustgeschäft hält: Die letzten Teilprivatisierungen von OMV, Post und Telekom hätten dem Staat seit 2006 knapp 500 Millionen Euro Zinsersparnis durch Schuldenabbau gebracht, ihn aber fast 1,7 Milliarden Euro an entgangene Gewinnanteile gekostet.
  • WEHRPFLICHT Über Monate sind Regierungsvertreter von Rot und Schwarz allein schon beim Wörtchen "Wehrpflicht" heißgelaufen. Seit der Kanzler via Krone seine angedrohte Volksbefragung auf den Wahltag 2013 hinausgeschoben hat, haben sich die Gemüter auf beiden Seiten etwas beruhigt, doch die Positionen blieben unverändert: Die SPÖ tritt nach wie vor für eine möglichst rasche Abschaffung des Dienstes an der Waffe und die Einführung einer Berufsarmee ein, die ÖVP hält weiterhin an Präsenzdienst sowie Bundesheer fest. Beide Seiten geloben öffentlich, über die Wehrreform weiterzuverhandeln - und versichern hinter vorgehaltener Hand, von ihrer ursprünglichen Haltung keinesfalls abzurücken. Für Zündstoff ist also weiterhin gesorgt - noch dazu, wo nicht alle Genossen Werner Faymanns Plan mittragen, erst am Wahltag ein Plebiszit darüber abzuhalten. Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl will noch heuer eine Volksbefragung anzetteln, Verteidigungsminister Norbert Darabos, ebenfalls Burgenländer, gern eine während der Legislaturperiode sehen.
  • STEUERREFORM Einigkeit gibt es nur bei der Überschrift. Schon beim Timing beginnt der Dissens. Während die SPÖ eine Steuerreform noch vor den nächste Wahl will, ist die ÖVP nicht überzeugt, ob der Staat dann schon genug finanziellen Spielraum hat. Doch selbst wenn, birgt das Thema genug Feuer, um zum finalen Zankapfel und Wahlampfschlager zu werden. Unter dem Slogan "Gerechtigkeit" träumt die SPÖ von einer großangelegten Umschichtung, die drei Milliarden Euro an Steuerlast - sei es durch niedrigere Sozialversicherungsbeiträge oder Lohnsteuer - von der Arbeit nimmt, um diese Kapital und Vermögen aufzubürden. Die ÖVP sagt dazu gebetsmühlenartig nein. Sie spricht von der Entlastung der Familien und des Mittelstandes und orientiert sich an Fekters - noch vagem - Grundsatz "einfacher, fairer und gerechter".
  • UNIVERSITÄTEN Die Rektoren rufen nach mehr Geld - und ihr Exkollege Karlheinz Töchterle, heute Wissenschaftsminister, will sich zu ihrem Anwalt machen. Doch woher die geforderten 300 Millionen pro Jahr ab 2013 nehmen? Die ÖVP drängt auf Studiengebühren, was zumindest die Bundes-SPÖ - aus den Ländern gab es mitunter andere Stimmen - ablehnt. Roten Widerstand gibt es auch gegen strengere Zugangsbeschränkungen, etwa selektive Prüfungen, wie sie Töchterle und die Rektoren ebenfalls befürworten. Fix ist hingegen die neue Orientierungsphase für Neostudierende ab Herbst.
  • PENSIONEN Beschlossen hat die Regierung bereits eine Einschränkung der Hacklerfrühpension und Rehabilitationsmaßnahmen für potentielle Invaliditätspensionisten. Doch selbst Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) gibt zu, dass damit noch nicht genug getan ist, um das niedrige Pensionsantrittsalter anzuheben - und hat die Reformarbeit erst einmal an die Sozialpartner delegiert. Dort trennt aber noch ein breiter Graben Arbeitgeber und Arbeitnehmer und damit auch Rot und Schwarz. Ein exemplarischer Streitpunkt: Sollen Unternehmen, die ältere Arbeitnehmer in die Frühpension abschieben, mit finanziell bestraft werden? Für Zündeleien war das Thema koalitionären Heißspornen nie zu schade.
  • FAMILIENRECHT Seit Februar 2011 liegt im ÖVP-geführten Justizministerium ein fertiges Konzept, das unter anderem die grundsätzliche Fortsetzung der gemeinsamen Obsorge für ein Kind nach einer Scheidung vorsieht. Die SPÖ spricht sich gegen eine solche "Automatik" aus; einen Gesprächstermin zwischen der neuen Justizministerin Beatrix Karl und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat es bisher noch nicht gegeben. Um dem Streitthema auch in den nächsten Monaten aus dem Weg zu gehen, lässt die Regierung das Thema lieber einmal liegen. Bis Herbst 2012 gibt man sich laut dem Arbeitsplan der Koalition für die Reform des Familienrechts Zeit. Auch an einem bundesweiten Kinder- und Jugendhilfegesetz soll trotz jahrelanger Diskussionen erst ab Herbst 2012 weitergearbeitet werden.
  • SCHWULE UND LESBEN Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) möchte homosexuellen Paaren Kinderwünsche ermöglichen: Sie kann sich Stiefkindadoption, Fremdkindadoption, als auch die künstliche Befruchtung für Lesben vorstellen. Die schwarze Linie dazu war stets ein Nein - und wird es laut Informationen aus der ÖVP auch bleiben.
  • SCHULREFORM Am einstigen Hauptschlachtfeld gab es einige Friedensschlüsse. Paktiert haben Rot und Schwarz den Ausbau der "Neuen Mittelschule" - die Hauptschule alten Stils soll auslaufen. Dazu will die Regierung im kommenden Schuljahr die Ganztagesbetreuungsplätze von 105.000 auf 120.000 Plätze aufstocken, ein Kurssystem in den Oberstufen einführen und die Pädagogenausbildung reformieren. Keine Einigung ist aber in der Grundsatzfrage in Sicht: Die SPÖ will eine Gesamtschule, die ÖVP hält am Gymnasium fest. Ein schwerer Brocken ist das geplante Dienstrecht, das Lehrern unter anderem höhere Einstiegsgehälter, aber geringere Steigerungen bescheren und sie zu mehr Zeit in der Klasse verpflichten soll. Dabei dräuen Konfrontationen mit der Gewerkschaft, die auch auf die Regierung abfärben könnten. Wird sich die ÖVP den gleichfarbigen Standesvertretern oder dem roten Koalitionspartner verpflichtet fühlen? Bildungsministerin Claudia Schmied fühlte sich schon einmal von der ÖVP - und vielleicht auch vom eigenen Parteichef - im Regen stehen gelassen. Um Dolchstoßlegenden vorzubeugen, sind diesmal beide Koalitionsseiten in die Verhandlungen involviert.
  • SPITALSREFORM Als Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) vergangenen Herbst Pläne für einen Umbau des Spitalssystems vorstellte, erntete er Protest aus den Ländern - und bestenfalls halbherzigen Zuspruch aus der ÖVP. Mittlerweile haben sich die Kontrahenten inklusive Sozialversicherung aber so weit zusammengerauft, um die von Experten vielfach geforderte Reform offiziell zu starten. Ziel ist eine einheitlichere Planung, die Stöger mit zwei Maßnahmen durchsetzen will: Einem bundesweiten Krankenanstaltengesetz, das in den unter Länderkuratel stehenden Spitälern einheitliche Standards durchsetzen soll, und einem Steuerungsfonds, der Geld nur ausbezahlt, wenn vom Ministerium ausgegebene Ziele erfüllt werden. Darüberhinaus soll die Gesundheitspolitik neue Schwerpunkte - etwa Prävention von Volkskrankheiten wie Übergewicht, Depression oder Alkoholismus - setzen. Weißen Rauch erhofft sich der Minister 2013, doch bis dahin ist der Weg angesichts widerstrebender Interessen noch weit - wobei die Fronten eher zwischen Ländern und Regierung verlaufen, als in letzterer selbst.
  • KINDERBETREUUNG Bei Plätzen für Kinder unter drei Jahren und längeren Öffnungszeiten in Kindergärten hinkt Österreich im EU-Vergleich hinten nach. Bei ihrer jüngsten Klausur beschloss die Regierung deshalb, mehr Geld in die Hand zu nehmen. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Familienminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) haben ein Finanzpaket vereinbart: Noch heuer werden vom Bund 10 Millionen Euro locker gemacht, in den kommenden drei Jahren jeweils 15 Millionen - macht unter dem Strich 55 Millionen Euro. Das Geld wird bezahlt, wenn die Länder die gleichen Mittel zuschießen. Ziel ist es, pro Jahr zusätzlich 5000 Plätze zu schaffen. 2015 soll es dann insgesamt 56.000 Plätze für unter Dreijährige geben.
  • PFLEGE Die Regierung hat sich eine Atempause verschafft: Via Pflegefonds - zwei Drittel zahlt der Bund, ein Drittel die Länder - pumpt sie 685 Millionen zusätzlich in die Betreuung alter Menschen. Das deckt die steigenden Kosten für vier Jahre, doch die langfristige Finanzierung ist ungeklärt. Wegen der Alterung der Gesellschaft wird der Staat 2020 um eine Milliarde mehr pro Jahr für Pflege ausgeben müssen, als die derzeitigen 3,8 Milliarden. In der SPÖ, aber auch in der Caritas gelten vermögensbezogene Steuern, in dem Fall eine Erbschaftssteuer, als potentielle Lösung. Die ÖVP ist - siehe auch Steuerreform - dagegen.
  • ENERGIEWENDE Im Bereich Umwelt sind SPÖ und ÖVP einander mittlerweile sehr nahe. Bei der Regierungsklausur am Semmering beschlossen Kanzler und Vizekanzler, Österreich solle bis 2050 energieautark sein und bis 2015 unabhängig von Atomstrom. Das soll mithilfe des neuen Ökostromgesetzes erreicht werden. Bei diesem blockieren die Koalitionspartner ausnahmsweise nicht einander, statt dessen legt sich die Opposition quer. Ohne die geht es aber nicht: Das Gesetz muss mit einer zwei Drittel-Mehrheit beschlossen werden.
  • KRISENBEWÄLTIGUNG Bei der Rettung von Banken, Euro oder maroden EU-Staaten ließ sich die Koalition bisher von keinem oppositionellen Keil auseinandertreiben. 1,2 Milliarden floßen bisher an Krediten für Griechenland, am Ende werden es 2,3 Milliarden sein. Dazu haftet Österreich mit 1,65 Milliarden für Darlehen an Portugal und einer Milliarde für Irland - doch die Mauer gegen die Angriffe von FPÖ und BZÖ hielt. Um den geplanten neuen Eurorettungsschirm mit einem Beitrag von 2,23 Milliarden zu speisen, brauchen Rot und Schwarz im Nationalrat aber die Stimme von zumindest einer weiteren Partei. Ein Beschluss ist für Herbst geplant.
  • ORTSTAFELN Nach 56 Jahren Zank und Hader um mehr zweisprachige Ortstafeln in Kärnten hat die Regierung am Dienstag eine Lösung beschlossen, die 164 Schilder umfasst. Nun muss nur noch das Parlament im Juli das Gesetz absegnen - und Kärnten ab August die Tafeln aufstellen. Dass die Verhandlungen diesmal nicht gescheitert sind, liegt weniger an der ausgeklügelten Strategie von Kanzler und Vize, sondern daran, dass die beiden Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ), für seine Diplomatie bekannt, bei den Gesprächen völlig freie Hand ließen. Schönheitsfehler hat die Lösung dennoch: Die Regelung für Slowenisch als Amtssprache birgt absurde und europarechtlich fragwürdige Details. Und bis 17. Juni läuft in Kärnten noch die von Dörfler angezettelte Volksbefragung zum Ortstafel-Kompromiss. Rechtlich ist diese zwar irrelevant, doch bei Kärntner Hitzköpfen weiß man nie, wie viele dagegen stimmen.
  • FÖDERALISMUS In der Vergangenheit haben sich SPÖ und ÖVP mitunter mit den eigentlichen Widersachern in den Ländern verbündet, um dem Koalitionspartner eins auszuwischen. Nun zeichnet sich punkto Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern mangels Erfolgsaussicht ein gemeinsamer Nenner ab: Alles soll beim Alten bleiben. (red, STANDARD-Printausgabe, 8.6.2011)