"Diese Zusage (dass nicht blockiert wird, Anm.) hat mir niemand anderer als der türkische Präsident Gül gemacht - vor Zeugen."

Foto: Matthias Cremer

Wien - Die österreichische Regierung steht weiter zu der von der Türkei beeinspruchten Kandidatur der ehemaligen Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP)für das Amt der OSZE-Chefin. Wien wird deren Bewerbung nicht zurückziehen, wenngleich Außenminister Michael Spindelegger angesichts des türkischen Vetos wenig Chancen auf Erfolg sieht.

Spindelegger stellt im Gespräch mit Hans Rauscher dezidiert die Beitrittsfähigkeit der Türkei zur EU infrage und erklärt, wie er mit den zentralasiatischen Diktaturen umgehen will.

Kanzler Werner Faymann stellte sich hinter Plassnik, die "jedenfalls die richtige Kandidatin" sei. Daher werde er sich "bis zur letzten Möglichkeit" für sie einsetzen. Für Bundespräsident Heinz Fischer ist der Einspruch "schmerzlich" . Ankara warf Wien "unethisches Spiel" im Ringen um Spitzenposten vor.

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STANDARD: Dieses Veto der Türkei gegen die ehemalige Außenministerin Plassnik ist doch eigentlich eine impulsive oder emotionale Politik, die man selten antrifft.

Spindelegger: Absolut. Für mich ist es umso überraschender, weil ich ja im Vorfeld, bevor wir die Kandidatur bekanntgegeben haben, eine Art Gentlemen's Agreement mit dem türkischen Außenminister Ahmed Davutoglu geschlossen habe: Wir traten mit unterschiedlichen Konzepten zur Wahl des Generalsekretärs der OSZE an. Wir mit einer profilierten politischen Persönlichkeit, die Türkei mit einem Beamten - aber im Verständnis, dass wir uns nicht gegenseitig blockieren werden. So sind wir verblieben - der Bessere möge gewinnen. Und ich habe das nocheinmal mit dem Präsidenten Gül hier in der Hofburg Anfang Mai besprochen. Jetzt kann man sich plötzlich an nichts erinnern und sagt Veto, Veto, Veto. Das verwundert mich, weil ich doch annehme, dass man in der Außenpolitik das, was man zusagt, auch einhält.

STANDARD: Ist es damit gelaufen?

Spindelegger: Ich glaube nicht, dass wir da durch Verhandlungen noch etwas anderes erreichen könnten.

STANDARD: Glauben Sie, dass hier türkische Ehrgefühle oder türkische Empfindlichkeiten verletzt wurden durch Österreichs generelle Haltung gegenüber dem EU-Beitritt der Türkei? Es schaut ja fast so aus, als würde das relativ kleine Österreich da die Speerspitze übernehmen und der Blockierer in Sachen EU-Beitritt der Türkei sein. Ist das eine Rolle, die wir haben wollen?

Spindelegger: Ob das jetzt Befindlichkeiten der türkischen Führung aus der Vergangenheit sind oder nicht, interessiert mich weniger. Für mich ist professionelles Vorgehen entscheidend. Und wenn man etwas zusagt, muss man das auch einhalten. Das ist unverständlich, denn diese Zusage hat niemand anderer als der Präsident selber mir gemacht, vor Zeugen. Dann zu sagen: "Nein, das war gar nicht so", ist schon ein starkes Stück.

STANDARD: Zum Grundsätzlichen. Es gibt einige Gründe für den Beitritt der Türkei, es gibt etliche Gründe dagegen. Die Türken sagen, der Islam ist unser Hauptgrund.

Spindelegger: Für uns bleibt im Vordergrund: Ist eine Europäische Union überhaupt aufnahmefähig für ein Land wie die Türkei? Und kann die Türkei auch wirklich mit ihrer Struktur Mitglied werden in der Europäischen Union. Das ist die Zentralfrage. Da geht es nicht um Islam und auch nicht um nationalistische Gefühle. Wir würden eine spezielle Partnerschaft mit der Türkei bevorzugen und nicht den Vollbeitritt.

STANDARD: Wenn Sie sagen, es komme darauf an, wie die Struktur der Türkei aussieht, was meinen Sie damit? Ist sie zu wenig demokratisch oder zu wenig den westlichen Werten verpflichtet?

Spindelegger: Das alles spielt eine Rolle. Bei den Kopenhagener Kriterien geht es nicht nur um die Frage der wirtschaftlichen Möglichkeiten und der Akzeptierung der Grundfreiheiten, sondern auch um die konkrete Politik. Letztlich muss sich die Türkei wirklich selbst überlegen, wie sie beim Beitritt weiterverfahren will. Man darf nicht glauben, im letzten Augenblick bewegt man sich dann ein kleines Stück, und das reicht für den Beitritt. Es wird keine Sonderkonditionen für die Türkei geben.

STANDARD: Sie haben den Regionalkongress des World Economic Forum nach Wien geholt, der sich mit Zentralasien beschäftigt. Aber es gibt ein Problem in der Region. Die meisten Staaten sind schlicht und einfach Diktaturen mit Personenkult und Korruption. Jetzt haben wir das gerade in den arabischen Ländern erlebt, dass die zum Teil ihre Diktatoren abgeschüttelt haben, mit denen wir vorher gute Beziehungen hatten. Das kann uns in Zentralasien wieder passieren.

Spindelegger: Wenn man Wirtschaft und Menschenrechte betrachtet, dann muss man das eine tun, ohne das andere zu lassen. Für mich ist beides miteinander Teil unserer Strategie, die wir als Europäer gegenüber diesen Ländern an den Tag legen müssen. Das heißt, wirtschaftliche Beziehungen müssen wir auch immer verknüpfen mit unserem Eintreten für Menschenrechte, für Reformen, die wir verlangen. Das ist langfristig die richtige Strategie. Ich glaube, dass das, was der Balkan für uns heute ist, morgen die Schwarzmeer-Region, dann Zentralasien sein werden.

STANDARD: Was tun wir mit dem Arabischen Frühling?

Spindelegger: Die Strategie in der EU ist, dass wir eine Beziehung aufbauen, wo es heißt, Kredite z. B. der europäischen Investitionsbank gibt es nur, wenn auch Reformen dort stattfinden.(DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2011)