Der Klangpavillon "The Morning Line" hält ab sofort auf dem Wiener Schwarzenbergplatz geöffnet. In der Installation sind Arbeiten renommierter Experimentalelektroniker zu hören.

Photos: Hertha Hurnaus / T-B A21 2011

Bild nicht mehr verfügbar.

Francesca Habsburg als Initiatorin für Klangkunst.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Kunst im öffentlichen Raum kann im konkreten Fall zumindest eines bewirken: Sie kann die Lücke aufzeigen, die der Teufel hinterlässt. Der von Kunstkaiserin Francesca Habsburg und ihrer Stiftung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary finanzierte Klangpavillon auf dem Wiener Schwarzenbergplatz macht erst bewusst, was man diesem mitten im Zentrum befindlichen Nicht-Ort jahrzehntelang angetan hat. Man hat die Fläche vor dem "Russendenkmal" stadtplanerisch nicht einmal ignoriert, dafür aber so asphaltiert, dass die Magistratsabteilung MA48 nur einmal pro Woche mit dem Wasserschlauch drübergehen muss - und alles ist wieder schön sauber.

Nach seiner Präsentation 2010 in Istanbul und zuvor 2008 in Sevilla stoppt dieses ornamentale, visuell etwas nach geschmäcklerischem Zierrat aus Schrottplatzkunst aussehende Werk im Fortschritt ab sofort in Wien. Dazu gesellt sich, so wie zuvor an den anderen Spielstätten, kuratierte Klangkunst, die mehr in den Galerien als in den Clubs angesiedelt ist und sich fachgerecht komponierter Experimentalelektronik verpflichtet fühlt.

Bis einschließlich 20. November werden in dem vom US-Künstler Matthew Ritchie gemeinsam mit der Architektengruppe Aranda/Lasch entwickelten Aluminiumgebilde, das rein äußerlich etwas an das gute alte Rhizom aus den 1980er-Jahren erinnert, diverse Klangkünstler auf einer eigens entwickelten Soundanlage für verstörendes Brummen, Zirpen, Wallen, Achen, Wehen, Schaltkreisbrutzeln und Knuspern sorgen. Merke: Kunst im öffentlichen Raum ist sehr gewollt immer auch eine - ja, bitte - verstörende Kunst, die mit der Brechung unserer gängigen Rezeptionsmuster arbeitet.

Wo der Pavillon in Istanbul im Epizentrum des megalopolischen Verkehrschaos nahe der Galata-brücke etwa 2010 komplett unterging, bedeutet er für den Schwarzenbergplatz nun eine im positiven Sinne vollkommene Neudeutung. Jetzt steht nämlich überhaupt irgendetwas auf dem Asphalt drauf und heischt nicht nur haptisch, sondern auch zumindest dem Verkehrslärm akustisch gleichgestellt nach Aufmerksamkeit. Mit den ab sofort bis einschließlich 11. Juni dort stattfindenden Livekonzerten beauftragter Elektroniker sollte also für etwas mehr Urbanität gesorgt sein.

Zuständig für dieses Programm sowie jenes eines, wie man sagt, hochkarätig besetzten Symposiums zum Thema Sound und (öffentlicher) Raum im benachbarten Wiener Stadtkino ist der Wiener Chef des Laton-Labels, Klangkünstler und Kunstprofessor Franz Pomassl. Dem ging es immer schon darum, dass Musik auch im Sinne von Architektur zu verstehen ist. In diesen Räumen geht es weiters nicht nur darum, dass man sich darin wohlfühlt. Hauptsache, die Häuser sind hohl, damit Menschen hineinpassen.

Abstrakte Technosounds

Neben renommierten heimischen Künstlern wie Christian Fennesz werden in den folgenden Tagen auch Kaliber wie der US-Soundkünstler Terre Thaemlitz auftreten, der isländische Klangarchitekt Finnbogi Petursson, der deutsche Abstrakt-Techno-Großmeister Carsten Nicolai sowie hierzulande noch unbekanntere Musiker aus Russland oder der Ukraine. Sie gesellen sich zu im Tonarchiv von The Morning Line gespeicherten Soundinstallationen von Lee Ranaldo, Bruce Gilbert oder Russell Haswell.

Die Konzerte beginnen bei freiem Eintritt jeweils um 19 Uhr. Die Tonkonserven aus dem Archiv dröhnen bis November rund um die Uhr. Ab dann kann sich der Bürgermeister dann ja überlegen, was mit dem Schwarzenbergplatz weiter passieren könnte. Mit dem Schlauch drüberspritzen ist im Winter halt eher ungünstig. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 8. Juni 2011)