L'Aquila/Bregenz - Man habe sie vergessen, klagen Erdbebenopfer im Film Dopo ("Danach") der deutschen Filmemacher Lennard Ortmann und Nikhiil Konrad. Zwei Jahre nach dem schweren Beben soll der Film wieder die Aufmerksamkeit auf die Menschen in L'Aquila lenken. "Denn", so Ortmann bei der Videopräsentation im Kunsthaus Bregenz, "so lange die Trümmer da sind, werden die Menschen nicht über das Geschehene hinwegkommen."
Der Film entstand zu Pfingsten 2010 während eines Kunstprojekts des aus den Abruzzen stammenden Ravensburger Kunsterziehers Marco Ceroli. Unterstützt von deutschen und Vorarlberger Organisationen, bauten 400 Volksschüler aus dem Vorort Paganica mit dem Künstler ihre Wunschstadt aus Karton. Ceroli: "Die Kinder sollten erleben, wie aus Bruchstücken wieder etwas entstehen kann, wie gemeinsames Anpacken soziale Bindungen schafft."
Dopo gibt einen bedrückenden Einblick in eine zerstörte Gesellschaft. Das Beben habe ihnen nicht nur die Wohnung genommen, sondern ihr gesamtes soziales Umfeld, beklagen Betroffene. Die Regierung habe zwar 19 neue Siedlungen bauen lassen, aber nicht an den sozialen Wiederaufbau gedacht. "Die Menschen fühlen sich allein gelassen", sagt Lennard Ortmann, "sie brauchen Unterstützung von außen." Mit Dopo will das Künstlerteam auch einen materiellen Beitrag leisten. Bei jeder Filmvorführung werden Spenden gesammelt.
Die Notwendigkeit zeigte ein Lokalaugenschein des Standard im Mai 2011: Die zerstörte Altstadt von L'Aquila sieht aus wie eine riesige Baustelle, auf der die Bauarbeiten eingestellt wurden. Paläste, Kirchen, Geschäftshäuser sind mit kunstvollen Metall- und Holzaufbauten eingerüstet, die Fußgängerzone wurde zum Korso der Gerüstbauer. Millionen habe man in die Gerüste gesteckt, und dann sei nichts mehr passiert, beklagen frühere Bewohner, die in ihre Stadt zurückkehren möchten. Wohin die 494 Millionen Euro EU-Wiederaufbauhilfe verschwunden seien, wollen sie wissen.
Auf Zetteln an den Absperrgittern sind Verzweiflung und Zorn nachzulesen - in Gedichten, Pamphleten, Briefen an die Politiker. Schülerinnen und Schüler haben tausend Schlüssel an die Gitter gehängt, symbolisch für tausend Ideen zum Wiederaufbau. Denn an Ideen fehle es den Verantwortlichen. Immer wieder ist zu lesen: "Die Regierung hat uns vergessen." (Jutta Berger, DER STANDARD/CROSSOVER - Printausgabe, 7. Juni 2011)