Wieso ihm das Lachen dennoch nicht vergeht, erklärte er Thomas Rottenberg in seinem Haus in Umbrien.
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STANDARD: Sie bezeichnen sich stets als "Spielmann" - und betonen, das sei etwas anderes als ein Hofnarr. Wieso?
Fo: Der Begriff des Hofnarren ist abschätzig. Der Hofnarr ist keiner, der über die Macht und über den Machthaber spottet: Er ist manchmal ironisch gegenüber seinen Herren - aber schon das bringt ihn in Bedrängnis. Denn die Macht, der Signore, ist immer voreingenommen. Sie akzeptiert es nicht, wenn mit ihr Spielchen getrieben werden. Wenn sie wütend wird, kann das schrecklich werden.
STANDARD: Wir haben in Italien genau so einen Signore, Herrn Berlusconi. Der hat erst kürzlich wieder versucht zu verordnen, dass in Wahlkampfzeiten bestimmte Sendungen gestrichen werden. Nicht aus seinem privaten Medienimperium, sondern aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Fo: In seinen Medien aber lässt er Satire zu - weil er sie dort unter Kontrolle hat. Ich glaube, das erklärt den Unterschied.
STANDARD: Passt der historische Vergleich heute noch? Im Mittelalter war es vielleicht erlaubt, Satiriker und Schauspieler zu prügeln. Aber heute steht die Freiheit des Wortes und der Kunst in den meisten Ländern sogar in der Verfassung.
Fo: Es stimmt nicht, dass wir heute freier sind. Gerade in Italien wollen die Herrschenden, dass alles ihrer Aufsicht unterworfen sein soll, ganz besonders die Kultur. Denn Kultur ist heikel. Also muss man sie streichen, die Gelder kürzen. Das ist eine subtile, umso effizientere Methode, das zunichte zu machen, was Geist, Fantasie oder Vorstellungskraft erschaffen können. Das ist der erste Schritt der Zensur. Und diese angebliche Akzeptanz von ironischer Kritik kenne ich: Immer wenn eine Aufführung gut ankam, meldet sich die Macht sehr rasch und versucht, das abzudrehen: Es ist eine ziemlich miese Zeit - für Komiker, Kritiker und sogar für Hofnarren.
STANDARD: Silvio Berlusconi ist Ihr Lieblingsfeind. Wie steht es denn in Ihrem Match gegen ihn? Sie bringen es derzeit auf 47 Verfahren - Berlusconi nur auf 16. Wird er Sie einholen?
Fo: (Lacht.) Bei ihm kommt aber jeden Tag ein neues hinzu ... Berlusconi sagt ja, dass er verfolgt wird. Aber was sollen die sagen, die von ihm abhängen, die aufgrund seiner Willkür nichts sagen dürfen? Die nicht ins Theater oder ins Fernsehen dürfen und deren Werke nicht aufgeführt werden? Es hängt vom Standpunkt ab, ob man verfolgt wird oder verfolgt. Berlusconi versucht ja stets, sich aus dem Staub zu machen. Er war zwar bei ein paar Anhörungen - aber nur dort, wo er sicher sein konnte, dass ihm niemand Fragen stellt, die unangenehm hätten werden können. Wenn ihm echte Fragen gestellt werden, entschlägt oder entzieht er sich. Oder verweigert. Ist das nicht seltsam? Vor der Justiz sind alle gleich - nur Berlusconi hat einen Sonderplatz. Eine Nische, in der er sitzt und unantastbar ist.
STANDARD: Italien feiert heuer seine 150-jährige Einheit. Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie?
Fo: Es ist wichtig, sich an diesen Ursprung zu erinnern. Es waren junge Leute, die diese Nation möglich machten. Menschen, die jenseits der Normen lebten. Garibaldi musste sich verstecken. Er lebte jahrelang jenseits des bürgerlichen und zivilen Lebens. Er war lange ein Flüchtling - und zog sich zurück, als die Einheit erreicht war. Wenn wir uns heute etwas erhoffen, dann von den Jungen. Es waren immer die Jungen, die Neues schufen. Vor allem, weil sie die Macht infrage stellten. Ein Volk, das das nicht mehr tut oder kann, ist ein armes Volk. Es tut auch den Mächtigen gut, wenn man sie darauf hinweist, dass sie nackt sind.
STANDARD: Doch erstaunlicherweise ruft das Volk nicht:"Ihr seid doch nackt" - im Gegenteil: Es wählt die Blender und Populisten. Ist das in einer Demokratie aber nicht auch legitim?
Fo: Nur auf den ersten Blick. Denn die Frage lautet anders: Wie drückt sich Macht heute aus? Meist tragisch. Zum Lachen bringt das niemanden. Man kann nicht einmal schmunzeln. Machtausübung ist immer öfter ein Handeln als gewalttätige Ausdrucksform.
STANDARD: Trotzdem: Das Volk wählt - und will es nicht anders.
Fo: Es ist beängstigend, dass ein Land wie Italien, das eine Geschichte der Großherzigkeit und Gastfreundschaft hat, das seit dem Mittelalter andere immer aufgenommen hat, diese Verwandlung erlebt, diesen vollkommenen Mangel an Großzügigkeit und Nächstenliebe. Schauen wir nach Lampedusa, auf diese Insel, die von verzweifelten Menschen überrannt wird. Sie riskieren Leib und Leben, viele ertrinken. Sie kommen nicht, um einen Spaziergang zu machen, sie sind verzweifelt. Ihre Alternative ist der Tod. Wir Italiener hatten nach dem Ersten Weltkrieg die Möglichkeit, anderswo zu leben und zu arbeiten. Abertausende sind ausgewandert, Bauern und Arbeiter. Viele kamen später zurück und brachten den Wohlstand. Der gab uns die Möglichkeit, demokratisch-zivile Strukturen zu errichten. Wenn wir heute nicht aufstehen, wenn es uns nicht gelingt, Großzügigkeit und Nächstenliebe neu zu formulieren, sehe ich schwarz, gerade für ein katholisches Land. Wir müssen gerade für Notleidende da sein.
STANDARD: Ihr Credo war immer, dass Lachen die gefährlichste Waffe ist. Aber so wie Sie klingen, dürfte es Ihnen vergangen sein.
Fo: Wir dürfen uns nicht von einer Situation des Unmöglichen mitreißen lassen - und sagen, dass alles keinen Sinn hat, also gehen auch wir und lassen die alleine, die unsere Hilfe brauchen. Das wäre der schlimmste Fehler. Gerade wenn man verzweifelt ist, muss man sich und anderen sagen, dass es weitergeht. Wir müssen die Scharlatane bekämpfen. Diese Leute, die nichts mit Kultur, Fantasie oder Ironie im Sinn haben. Was wir dafür brauchen, kann ich nicht oft genug betonen: mehr Liebe für unseren Nächsten. (Thomas Rottenberg, DER STANDARD/CROSSOVER - Printausgabe, 7. Juni 2011)