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JournalistInnen liefern massenhaft Bilder aus Krisen- und Kriegsgebieten. In welchen Kontext diese Bilder anschließend gestellt werden, können sie kaum beeinflussen.

Foto: APA/EPA

Von kriegsgefangenen Soldaten im Irak spricht die eine Zeitung, die andere von inhaftierten Selbstmordattentätern in Haft - dabei ist in beiden Blättern dasselbe Bild zu finden. Der Grund für die Ungereimtheiten: die Bildunterschriften, in der Fachsprache Bildlegenden genannt. Diese sollen eigentlich den Zusammenhang, in dem ein Foto entstanden ist, erklären, damit LeserInnen den Bildinhalt verstehen können. Aber genau das wird seit dem Ersten Weltkrieg gerade in der Kriegsfotografie für Propaganda und Populismus missbraucht. Bis heute. Denn Leserbeeinflussung mithilfe von Interpretation ist in der österreichischen Zeitungslandschaft kein Einzelfall. Das untersuchte der Kommunikationswissenschafter Michael Kirchdorfer in seiner Magisterarbeit über die postmoderne Kriegsfotografie mit dem zweideutigen Titel "Wahre Bildlegenden".

Keine Suche nach der Wahrheit

Mehr als 3.000 Bilder von den Kämpfen im Irak 1991 und 2003 sowie 2001 in Afghanistan haben "Kurier", "Presse", "Standard" und "Krone" insgesamt veröffentlicht. Sie alle hat Kirchendorfer untersucht, natürlich inklusive ihrer Bildlegenden. Das Herzstück ist der Vergleich von Bildunterschriften, wenn dasselbe Foto in mindestens zwei der untersuchten Blätter zu finden war. Ziel war nicht den Wahrheitsgehalt zu bestimmen, sondern die Differenzen. Je größer also die Abweichungen zwischen den Erklärungen, desto stärker die Beeinflussung der LeserInnen - so die scheinbar zeitlose Erkenntnis. Dabei fällt die Trennung zwischen Qualitätspresse und Boulevardzeitung hier nicht ins Gewicht. Auch wenn dasselbe Bild in zwei journalistisch hochwertigen Zeitungen erscheint, so kann es im Vergleich trotzdem zu großen Unterschieden im Inhalt kommen.

Die Tücken der professionelleren Bildpolitik

Notorisches Misstrauen bei Kriegsfotografie scheint jedoch heute fehl am Platz sein. Bei mehr als der Hälfte aller Vergleiche sind nur wenige Differenzen festzustellen, die Beeinflussung der Bildwahrnehmung bleibt also ziemlich gering. Ein Beispiel für einen kleinen Unterschied: Die eine Zeitung baut in die Bildlegende ein aussagekräftiges Zitat ein, das zur dargestellten Situation in einen größeren Zusammenhang bringt. Die andere gibt weitere Details zum konkreten Fall bekannt. Starke Abweichungen zwischen solchen Bildlegenden sind darüber hinaus von 1991 bis 2003 zurückgegangen, wie Kirchdorfer festgestellt hat. Als Grund vermutet er die Professionalisierung der Bildpolitik in den Medien. Das bedeutet, die Bildauswahl bei Presseagenturen ist 2003 größer als noch in den 1990er Jahren. Meist unterscheiden sich die Fotos aber nur in Perspektive oder im Ausschnitt voneinander, grenzt Michael Kirchdorfer ein.

Befehl ist Befehl, auch für Zeitungen

Das Problem in der Praxis: JournalistInnen und damit Zeitungen sind auf Agenturen angewiesen. Denn da Kriege selten unumstritten sind, achten die Verantwortlichen besonders genau darauf, was publik wird. Daher unterliegen ReporterInnen einer enormen Kontrolle, wenn sie denn überhaupt vor Ort recherchieren und fotografieren dürfen. In der Regel muss alles von den Streitkräften genehmigt werden. Eine alternative Quelle sind die gegnerischen Truppen, eine Überprüfung der Informationen ist jedoch bei beiden Seiten für die JournalistInnen nicht immer möglich. So werden die Berichte oft kritiklos übernommen. Den Kriegsparteien ist das nur Recht, sie wollen letztlich nur ihre Interessen in den Medien vertreten wissen, nicht unbedingt die Wahrheit. So betonen dann die Iraker die Zahl der toten Zivilisten, während die Amerikaner die jubelnde Menge am Ende der Kämpfe hervorheben.

Aufgrund dieser Bildpolitik können Fotos auch nachträglich einem Block zugeordnet werden, wie Kirchdorfer in seiner Arbeit zeigt. Ein wichtiger Schritt, der verdeutlicht, woher Bilder kommen und durch eine thematische Einordnung auch die Aussageabsichten der Quellen darlegt.

Fotos zur eigenen Meinungsbildung fehlen

Die Studie motiviert die MedienkonsumentInnen, häufiger verschiedene Zeitungen zu lesen und bewusst bei identischen Bildern die Legenden zu vergleichen. Besonders bei kriegerischen Auseinandersetzungen ist dieses kritische Misstrauen wohl angebracht. In der Arbeit selbst ist eine Beurteilung des Bildmaterials leider nicht möglich. Die angesprochenen Bilder und ihre Legenden sind aus Copyright-Gründen in der Online-Version nicht einsehbar. Dafür hat der Autor den LeserInnen seine detaillierten Erhebungen für jedes untersuchte Jahr und für jede Zeitung im Anhang komplett zur Verfügung gestellt.

Die Magisterarbeit "Wahre Bildlegenden - Eine Studie über die interpretative Verwendung der Bildlegende im Kontext der postmodernen Kriegsfotografie" kann auf textfeld.ac.at im Volltext nachgelesen werden.